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5. BIBLISCH-THEOLOGISCHE ERWÄGUNGEN: Das Thema "Israel" im Neuen Testament

"Den Juden bin ich wie ein Jude geworden, damit ich die Juden gewinne. Denen, die unter dem Gesetz sind, bin ich wie einer unter dem Gesetz geworden - obwohl ich selbst nicht unter dem Gesetz bin - damit ich die, die unter dem Gesetz sind, gewinne. Alles aber tue ich um des Evangeliums willen, um an ihm teilzuhaben" (1Kor 9,20.23).
 

5.1. Römer 9-11 als Grundlage

Der wichtigste neutestamentliche Text über das Thema "Israel" steht in Römer 9-11. Früher in der Exegese oft nicht beachtet, steht er seit dem Holocaust im Zentrum der Diskussion um die Frage Israels. Wir wollen zunächst die Gesamtaussage und den Kontext dieser drei Kapitel betrachten:

In Röm 1,18-4,25 hatte Paulus dargelegt, daß alle Menschen, Juden und Heiden, unter der Macht der Sünde stehen und deshalb nicht die "Herrlichkeit Gottes erlangen" (Röm 3,23), daß aber allen, die glauben (3,22) - Juden wie Heiden - durch den stellvertretenden Sühnetod Jesu Christi das Heil als Rechtfertigung des Gottlosen zuteil wird.(1) Deshalb ist das "Evangelium eine Kraft Gottes zum Heil jedem Glaubenden, dem Juden zuerst und auch dem Griechen" (Röm 1,16).

In Röm 9-11 beschäftigt sich nun der Heidenapostel Paulus mit der Frage, was denn angesichts dieses alleinigen Heils in Jesus Christus mit seinen Volksgenossen, den Israeliten ist, die mehrheitlich das Evangelium von der rechtfertigenden Gnade in Jesus Christus abgelehnt haben. Die Hauptthese dieser drei Kapitel steht in 9,6 und 11,1: Gottes Verheißungen an Israel sind nicht aufgehoben, er hat sein Volk nicht verstossen, auch wenn es vorübergehend dem Evangelium gegenüber verstockt ist. Diese These begründet Paulus in mehreren Gedankengängen: Einerseits bestimmt nicht die leibliche Abstammung von Abraham, sondern die Verheißung Gottes, wer zum wahren Israel gehört (9,6-13).(2) Andererseits beweist die Existenz der Judenchristen als Überrest Israels, daß das Volk Israel von Gott nicht verworfen ist (11,1-7). Durch die Aufrichtung seiner eigenen Gerechtigkeit (9,31-10,3) hat Israel zwar die Evangeliumsbotschaft nicht angenommen (10,14-18). Dies hat jedoch seinen Grund darin, daß Gott Israel verstockt hat und für das Heil beiseitegestellt hat - damit das Heil zu den Heiden gelangen kann (11,7-11). Diese Verstockung wiederum ist jedoch zeitlich begrenzt, denn wenn die "Fülle der Heiden zum Heil gelangt ist", wird Gott sich auch des Bundesvolkes Israels wieder erbarmen und wird es als Volksganzes bei der Parusie Christi erretten (11,25f.). "Denn Gottes Gaben und Berufung können ihn nicht gereuen" (11,29).

Durch das Bild eines Ölbaums (11,16-24) stellt Paulus ausserdem die Beziehung zwischen Juden und Heiden dar: Die Wurzeln des Ölbaums symbolisieren Abraham.(3) Die meisten der echten Zweige des Baumes (d.h. die meisten Juden) wurden durch den Unglauben vom Baum ausgebrochen und statt dessen wurden viele wilde Zweige (d.h. die Heidenchristen) eingepropft. Diese sollten sich nach Paulus jedoch immer bewußt machen, daß sie als fremde Zweige in die Heilsgemeinde eingepropft wurden. Deshalb sollten sie sich nicht stolz über die echten Zweige erheben, nicht zuletzt weil Gott auch die ausgebrochenen echten Zweige wiedereinpropfen wird, wenn sie nicht im Unglauben bleiben (V.23).

5.2. Israel im Neuen Testament

Die messianischen Juden kritisieren die "Enterbungs-Theorie", nach der die Kirche das Volk Israel ersetzt hat und alle Verheißungen bezüglich Israel nun auf die Kirche übertragen sind. Die Verheißungen Israel gegenüber, so die messianischen Juden, seien nach wie vor gültig, und deshalb müsse Israel als Volk erhalten bleiben.

Was aber sagt das Neue Testament über "Israel"? Sind im NT antijudaistische Tendenzen festzustellen? Auf wen wird die Bezeichnung im NT angewendet? Welche Beziehung hatten Jesus, die Jünger und Paulus zum alten Bundesvolk? Diesen Fragen soll im folgenden nachgegangen werden.

5.2.1. Gibt es einen Antijudaismus im Neuen Testament?

Zum Erweis einer antijüdischen Tendenz im NT werden häufig drei Texte herangezogen: Das Gleichnis von den Weingärtnern (Mt 21,33-46 par), das Wort in 1Thess 2,14-16 und die Aussagen über "die Juden" im Johannes-Evangelium. Auf diese Stellen soll hier kurz eingegangen werden, wobei ich 1Thess 2,14-16 unter 5.2.4. behandeln werde.

Im Gleichnis von den Weingärtnern nach der Version des Matthäus (Mt 21,33-46) sagt Jesus (V.43): "Das Reich Gottes wird von euch genommen und einem Volk gegeben werden, das seine Früchte bringt". Dieses Gleichnis wurde häufig für die Behauptung herangezogen, das "Reich Gottes" sei vom Volk Israel auf die Kirche übergegangen. Die Addressaten dieses Ausspruches von Jesus sind jedoch nicht das jüdische Volk als Volksganzes, sondern eine bestimmte Gruppe in diesem Volk: Die Hohepriester und die Pharisäer (V.45, so auch in Mk 11,27). Wer mit "Volk" () gemeint ist, dem das Reich Gottes übergeben wird, läßt Matthäus offen, er redet jedoch nicht von einem "anderen" Volk, dem das Reich gegeben werde.(4) Nach F. Mussner bezieht sich der Ausdruck "Volk" auf das Früchte bringende am-ha-arez.(5) Das Gleichnis sei eine "Paränese von dauernder Gültigkeit":(6) Wenn die Jünger oder die Kirche diese Früchte nicht bringen, so wird das Reich auch von ihnen genommen.

Während bei den Synoptikern das jüdische Volk nach Gruppen unterschieden erscheint (Phärisäer, Sadduzäer, das gewöhnliche Volk), spricht das Johannes-Evangelium ganz allgemein von "den Juden". Die "Juden" bilden dort aber das Synonym für die ungläubige Menschheit überhaupt in ihrer Ablehnung Christi.(7) Außerdem erwähnt das Johannes-Evangelium öfters "Juden, die an Jesus glaubten" (z.B. in Joh 11,45) und spricht in positiver Weise von "Israel" (vgl. z.B. Joh 1,47 u. 12,13). Die Rede von den "Juden" im Johannes-Evangelium darf deshalb nicht antijudaistisch gedeutet werden.

Die antijudaistisch erscheinenden Stellen des Neuen Testaments können nur im Lichte einer innerjüdischen Kritik verstanden werden, die auch schon die Propheten des Alten Testaments an ihrem Volk geübt haben. Das (mit Ausnahme des Lukas-Evangeliums) von Juden geschriebene Neue Testament spiegelt die Spannungen zwischen zwei Glaubensrichtungen wider: Der rabbinische Glaube, daß der Thoragehorsam der Weg zu Gott ist, und der judenchristliche Glaube, daß allein der Glaube an Jesus Christus dieser Weg ist, mußte notwendigerweise zu Konflikten führen. Im NT wird der Gedanke des Heils aus dem Toragehorsam verworfen, nicht aber das Judentum als Ganzes. Der Antijudaismus läßt sich also durch das NT nicht rechtfertigen.

5.2.2. Hat die Kirche Israel ersetzt?: Der Begriff "Israel" im NT

Wie oben schon erwähnt, gibt es Theologen, die den Begriff "Israel" im NT auf die Kirche deuten, die das alte Bundesvolk Israel abgelöst habe. Ob diese Deutung möglich ist, soll im folgenden untersucht werden.

Der Begriff "Israel" () findet sich 68 mal im NT. An der überwiegenden Mehrheit der Stellen ist er eindeutig auf das alte Bundesvolk Israel bezogen. Nur an drei Stellen kann auch ein anderer Gebrauch vorliegen: 1Kor 10,18 spricht von "Israel nach dem Fleisch", was die Existenz eines "Israel nach dem Geist" möglich macht. Röm 9,6 ("nicht alle aus Israel sind Israel") schränkt den Gebrauch des Wortes ein: Nicht die leibliche Abstammung von Jakob, sondern die Zugehörigkeit zur Verheißung Gottes bestimmt das wahre "Israel". Hier könnte "Israel" den judenchristlichen Rest bezeichnen. Gal 6,16 spricht vom "Israel Gottes". Ob dieser Begriff die Kirche, den judenchristlichen Rest oder das alte Bundesvolk meint, wird aus dieser Stelle nicht klar ersichtlich und ist auch in der Forschung umstritten.(8)

Wenn auch Gal 6,16 und 1Kor 10,18 eine Rede vom "Israel nach dem Geist" möglich machen, welches dann entweder den judenchristlichen Überrest oder denselben mitsamt den in das "Bürgerrecht Israels" (Eph 2,12) mitheineingenommen Heidenchristen bezeichnen würde, so wird auf jeden Fall der Begriff im NT nie für eine das alte Bundesvolk ersetzende Größe gebraucht. Paulus gebraucht den Begriff "Israel" weiterhin auch für das alte Bundesvolk sowohl in dessen Verstockung als auch mit dessen ganz bestimmter Heilszukunft.

M. Simon faßt den neutestamentlichen Befund so zusammen: "Noch keiner der nt Autoren überträgt den Namen I[srael] ausdrücklich auf die christliche Kirche, es sei denn Gal 6,16. [...] Es handelt sich [dort] um eine erweiterte Anwendung, nicht um eine Übertragung".(9)

5.2.3. Jesus und Israel

Jesus sagte zu seinen Jüngern zur Frage, ob er die Tochter einer kanaanäischen Frau heilen solle oder nicht: "Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel" (Mt 15,24). Auch seinen Jüngern befahl er bei deren ersten Aussendung: "Geht nicht den Weg zu den Heiden [...] sondern geht hin zu den verlorenen Schafen aus dem Hause Israel" (Mt 10,5f.). Erst nach seiner Auferstehung sagte Jesus seinen Jüngern, daß sie seine Zeugen "in Jerusalem [...] und bis an das Ende der Erde" sein werden (Apg 1,8; vgl.a. Mt 28,19 und Mk 16,15). Jesus besaß also ein besonderes Sendungsbewußtsein gerade Israel gegenüber. Seine Botschaft vom Reich Gottes predigte er Israel, und Israel rief er zur Buße. Denn Israel sollte werden, zu was es bestimmt war: Gottes Volk. Er sah seinen (irdischen) Wirkungskreis auf Israel beschränkt, weil er an die Erwählung Israels zum Segen aller Völker glaubte.

5.2.4. Paulus und Israel

In den Paulusbriefen finden sich Aussagen über Israel, die konträr zueinander zu stehen scheinen. So sagt Paulus in 1Thess 2,15: "Der Zorn Gottes ist schon in vollem Maß über sie gekommen", in Röm 11,1 jedoch: "Hat denn Gott sein Volk verstoßen? Das sei ferne!"

Man kann die verschiedenartigen Aussagen des Paulus in seinen Briefen bezüglich Israel nur verstehen, wenn man bedenkt, daß Paulus mit drei gegnerischen Gruppen zu kämpfen hatte: Er mußte einerseits mit den Juden kämpfen, die ihn hinderten, das Evangelium in den Synagogen zu verkündigen.(10) Er mußte aber auch gegen die sog. "Judaisten" kämpfen, Judenchristen, die hinter ihm her eine Mission betrieben (v.a. in Galatien), in der sie von den Heidenchristen die Beschneidung verlangten. Schließlich mußte Paulus gegen überhebliche Heidenchristen kämpfen, die sich über die Judenchristen erhoben (Röm 11,13ff; 14,1ff). P. Stuhlmacher schreibt deshalb: "Diese dreifache Frontstellung erklärt die z.T. höchst dialektischen Äußerungen des Apostels in allen uns erhaltenen Paulusbriefen".(11) Stuhlmacher erklärt sich 1Thess 2,15f. so, daß Paulus hier "keine pauschale Absage an sein Volk"(12) gemeint habe, da er ja wenig später in 1 Kor 2,8 die Kreuzigung Jesu als von den "jüdischen 'Herrschenden' in unwissentlicher Verblendung betrieben"(13) beschreibt. In Röm 11 korrigiere Paulus "aufgrund vertiefter geistlicher Einsicht in Gottes (von der Hl. Schrift vorgezeichnete) Wege mit seinem Eigentumsvolk Israel"(14) das "ganz und gar" und "für immer" des Urteils im 1.Thessalonicherbrief. Stuhlmacher nimmt also eine Entwicklung an, die Paulus von der Zeit des Thessalonicherbriefes bis zur Zeit des Römerbriefes in Bezug auf das Volk Israel durchgemacht habe. Auch H. Hübner spricht von einem "Wandel im Israel-Verständnis" bei Paulus(15) und O. Hofius schreibt, Paulus warne in Röm 11 die Heidenchristen vor dem Urteil, das er selbst noch in 1Thess 2,16 gefällt habe.(16)

5.2.5. Heilsgeschichtliche oder existentiale Auslegung der Rechtfertigungslehre?

Gibt es in der Lehre von der Rechtfertigung im Glauben nur eine vertikale Komponente, d.h. die persönliche Entscheidung des einzelnen für oder gegen das Evangelium? Oder gibt es noch eine horizontale Komponente, d.h. eine geschichtliche Entwicklung, die Gott in Bezug auf die Rechtfertigung mit der Welt und insbesondere mit seinem Volk Israel geht?

Für R. Bultmann ist Christus das Ende der Geschichte, die Geschichte Israels hat für ihn nur eine Bedeutung in ihrem Scheitern.(17) O. Cullmann hingegen vertritt eine heilsgeschichtliche Deutung des NT.(18) E. Käsemann wiederum deutet die Heilsgeschichte als die "geschichtliche Tiefe und kosmische Weite des Rechtfertigungsgeschehens".(19) O. Betz kritisiert an dieser Diskussion, daß sie mit der Alternative des vertikalen oder horizontalen Charakters der Rechtfertigung mit "unbiblischen" und "unjüdischen" Begriffen arbeitet.(20) Das NT rede nicht von "Geschichte", sondern von der Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes (Röm 1,17 u.a.) und vom Geheimnis seiner Gerichte und Wege (Röm 11,25.33).(21)

Tatsächlich finden sich in der Eschatologie des Paulus sowohl präsentische wie auch futurische Aussagen. Paulus kann sagen, daß der Mensch in Christus eine Neuschöpfung Gottes ist (2Kor 5,17) und daß über die Christen "das Ende der Zeiten gekommen ist" (1Kor 10,11). Genauso kann er aber sagen, daß die Parusie Christi und das Endgericht noch bevorstehen (1Kor 1,7), daß die Schöpfung noch sehnsüchtig auf das Offenbarwerden der Kinder Gottes wartet (Röm 8,19) und daß Christus erst einmal alle Gewalt erlangen müsse (1Kor 15,20-28).

P. Stuhlmacher erklärt sich dieses Nebeneinander der präsentischen und futurischen Elemente so:

"Im Evangelium wird das endgültige Heil im wortwörtlichen Sinn in der Welt und in die Welt hinein vor-getragen; vorgetragen in einer worthaften, also verborgenen, aber zur Hoffnung auf das Ende ermächtigenden, verheißungsvollen Weise".(22)

Anhand des Gebrauchs des Wortes "Verheißung" () im NT läßt sich dieses Nebeneinander auch sehr schön zeigen: Christus hat die an die Väter ergangene Verheißung erfüllt (Apg 13,32f.), er "ist ein Diener der Juden geworden, um die Verheißungen zu bestätigen, die den Vätern gegeben sind" (Röm 15,8). Die Vollendung dieser Erfüllung steht jedoch noch aus: So erwarten wir noch "die Verheißung seines Kommens" (2Petr 3,4) und wir erwarten "einen neuen Himmel und eine neue Erde nach seiner Verheißung" (2Petr 3,13).

Auch in der Rede von den Bünden Gottes spiegelt sich die Spannung des "schon jetzt" und des "noch nicht" wider. Deshalb soll im folgenden der Gebrauch des Wortes "Bund" im AT und NT untersucht werden.

5.2.5.1. Der neue Bund ist die Erfüllung des alten, nicht seine Ersetzung

Ist im NT von "Bund" () die Rede, so ist an wenigen Stellen damit das Gesetz vom Sinai gemeint (2Kor 3,14;(23) Gal 4,24; Hebr 9,4), an den weitaus meisten Stellen jedoch die Verheißungen, die Gott Abraham und dem Volk Israel gab (Lk 1,72; Apg 3,25; Röm 9,4; Gal 3,17; Eph 2,12). An einigen Stellen redet das NT auch vom "neuen Bund" und greift dort die Tradition von Jer 31,31-34 auf. Der Inhalt dieses neuen Bundes ist die Vergebung der Sünden durch das Sühnopfer Jesu (Jer 31,34c; Mt 26,28; Röm 11,27). Durch das Inkrafttreten des neuen Bundes am Kreuz von Golgatha ragt der neue Äon in den gegenwärtigen Äon herein. Die Gemeinde aus Juden und Heiden ist die Gemeinde des neuen Bundes (2Kor 3). Heißt dies, daß der alte Bund (im Sinne des Abrahamsbundes) vorbei ist?

Nein, denn der Gebrauch des Wortes "Bund" in der Bibel ( im AT, im NT) zeigt eindeutig, daß zwar Israel den Bund mit Gott, aber Gott nicht seinen Bund mit Israel gebrochen hat, vielmehr daß er im neuen Bund seinen Bund mit Israel erfüllt. So verheißt Hesekiel: "Ich will aber gedenken an meinen Bund, den ich mit dir geschlossen habe zur Zeit deiner Jugend, und will mit dir einen ewigen Bund aufrichten" (Hes 16,60). Denn solange es Tag und Nacht gibt, hält Gott seinen Bund mit Israel aufrecht (Jer 33,25f.). Israel wird zwar verheißen, daß es, wenn es Gottes Bund bricht (Lev 26,15), unter alle Völker zerstreut werden wird (V.33). Dennoch gilt Gottes Zusage: Auch wenn der Bundesbruch und die nachfolgende Zerstreuung geschieht, "verwerfe ich sie dennoch nicht, [...] so daß [...] mein Bund mit ihnen nicht mehr gelten sollte" (Dtn 26,44). Sogar die Rückkehr in ihr Land und dessen Wiederinbesitznahme wird Israel verheißen (vgl. Dtn 30,3-5 und fast alle Propheten(24)). Dieser Gedanke, daß der neue Bund die Erfüllung und nicht die Ersetzung des alten ist, wird genauso im NT fortgeführt: Zacharias lobt Gott dafür, daß er seines Bundes mit Israel gedenkt (Lk 1,72). Paulus zeigt auf, daß das Gesetz den Abrahamsbund nicht auflösen konnte (Gal 3,15.17): Wenn schon ein menschliches Testament () unauflösbar ist (V.15), wieviel weniger ist Gottes Bund () auflösbar (V.17, vgl.a. V.21)! Obwohl der Begriff "neuer Bund" häufig in der Bibel auftritt (v.a. im Hebräerbrief), kommt der Begriff "alter Bund" nirgends vor! Das einzige Vorkommen von in 2Kor 3,14 ist mit "Altem Testament" oder besser "Gesetz des Mose" zu übersetzen ("bleibt dieselbe Decke auf der Verlesung des Gesetzes des Mose"),(25) da der Ausdruck mit "Mose" in V.15 ("wenn Mose gelesen wird") parallel gesetzt wird.(26) Aber auch diese Lesung des Mose-Gesetzes ist nicht vorbei, wird es doch immer noch in den Synagogen gelesen und weist es doch nach Paulus auf Christus hin. Der Hebräerbrief redet vom "ersten" und vom "besseren" bzw. "neuen Bund" und betont die unterschiedliche Qualität der beiden Bünde. Aber selbst der Hebräerbrief sagt nicht, daß der "erste" Bund vorbei ist, sondern daß er "seinem Ende nahe" ist (Hebr 8,13).(27)

Gottes Bund mit Abraham verheißt diesem ein Volk, dem Gott wiederum ein Land, eine Segenswirkung auf alle Völker und seine Zusage "Ich werde euer Gott sein" verheißt. Dieser Bund wird im Mosebund bestätigt: Israel werde eine "heilige Nation" (Ex 19,6) sein. Dieser Bund Gottes mit Israel findet seine Erfüllung im neuen Bund durch Christus (Gal 3,16), dem "Mittler des neuen Bundes" (Hebr 9,15). In diesem neuen Bund, dessen Ziel die Sündenvergebung und die Rechtfertigung aus Glauben ist, steht heute schon die Gemeinde aus Juden und Heiden. Für das von Gott verstockte Israel wird der neue Bund sich erst bei der Parusie erfüllen (Röm 11,26), bis dahin hat der alte Bund Gültigkeit für Israel, denn der Bund Gottes mit Israel ist durch Christi Kommen nicht aufgelöst, wie wir aus der Untersuchung der Belegstellen von im NT gesehen haben.

Daß die Abrahamsverheißung durch Christus erfüllt wird, zeigt Paulus in Gal 3: Die Abrahamsverheißung gilt "dem Nachkommen", nämlich Jesus (V.16) und den geistlichen Abrahamskindern, denen, die zu Christus gehören (V.29). Daß aber mit Christi Kommen diese Verheißung nicht endgültig erfüllt ist, zeigt Paulus am Beispiel der Segensverheißung im Abrahamsbund ("in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter der Erde" Gen 12,3): In der jetztigen Zeit werden die Heiden nicht trotz, sondern gerade wegen der Verstockung Israels durch Israel gesegnet: Das Heil konnte so zu ihnen gelangen (Röm 11,11). Das Ende der Verstockung Israels wird jedoch noch einmal eine Segenswirkung auf die Heidenvölker haben (Röm 11,12.15).(28) Auch im Schriftbeweis Röm 11,26f. stellt Paulus dar, daß Gottes Bund mit Israel noch nicht zur vollen Auswirkung gekommen ist: Die Verheißung der Sündentilgung (Jes 27,9) wird sich nämlich erst erfüllen, wenn die Verstockung aufgehoben ist.(29) Röm 11,12.15 und 11,26f. beweisen also, daß der alte Bund mit dem Kommen Christi nicht aufgehoben ist, sondern mit seinem zweiten Kommen im neuen Bund die Vollendung seiner Erfüllung erfahren wird. Der alte Bund wird nicht durch den neuen ersetzt, sondern er führt zu ihm hin: Das Gesetz wurde gegeben, um uns zu Christus zu führen (Gal 3,24). Dies ließe sich evt. auf die Rückkehr der Juden in ihr Land übertragen: Diese würde dann dieselben zum neuen Bund hinführen, nämlich die Errettung ganz Israels an dem Tag, an dem ganz Israel rufen wird: "Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn" (Mt 23,39).

Daß der Bund Gottes mit Israel nicht aufgehoben ist, heißt jedoch nicht, daß die Juden darin gerechtfertigt sind.(30) Das Wissen um die bleibende Erwählung Israels hinderte die Apostel nicht, die Juden zur Umkehr und in die Nachfolge Jesu zu rufen. Denn die leibliche Abstammung von Abraham ist kein "Garantieschein" für das zukünftige Heil (Röm 9,6-13; Lk 3,8). Weil die Zweige "ausgebrochen" sind (Röm 11,17), deshalb rufen die Apostel sie zum Glauben an Jesus Christus.

5.2.5.2. Das unvollendete Eschaton

Nach Eph 2,18-20 haben die Heidenchristen Anteil an den Segnungen Israels. Der Kontext macht klar, daß sich diese Teilhabe auf die geistliche Errettung in Jesus Christus bezieht. Diesbezüglich hat sich die an Abraham ergangene Verheißung erfüllt, nicht nur für Juden, sondern auch für Heiden. Heißt das, daß damit auch für Israel alle Verheißungen erfüllt sind? Hierzu schreibt E. Käsemann: "Während die Christenheit bereits gegenwärtig im neuen Bunde lebt, wird Israel das erst in der Parusie zuteil, und zwar durch den gleichen Geber Christus und mit der [...] damit verbundenen Gabe der Sündenvergebung. Nicht das Heil ist anders, wohl aber der Termin".(31) Die an Israel ergangenen Verheißungen haben sich für Israel als Volksganzes noch nicht erfüllt, sie bleiben aber auch nach Tod und Auferstehung Christi bestehen, denn Gottes Wort ist nicht hinfällig geworden (Röm 9,6).(32) Immer wieder zeigt Paulus, daß die Verheißungen an Israel nicht hinfällig geworden sind, sondern daß sie in Christus gültig werden: "Christus ist ein Diener der Juden geworden [...], um die Verheißungen zu bestätigen, die den Vätern gegeben sind" (Röm 15,8). Die Untreue Israels habe Gottes Treue nicht aufgehoben (Röm 3.3f.). "Im Blick auf die Erwählung sind sie [die Juden] Geliebte um der Väter willen. Denn Gottes Gaben und Berufung können ihn nicht gereuen" (Röm 11,28f.).

5.2.6. Israels Errettung und bleibende Berufung

5.2.6.1. Römer 11

Röm 11,25-27 (vgl.a. 2Kor 3,16) beschreibt die endzeitliche Errettung Israels:

Ich will nämlich nicht, Brüder, daß euch dieses Geheimnis unbekannt ist, damit ihr euch nicht selbst für klug haltet: Verstockung ist Israel zum Teil widerfahren, bis die Vollzahl der Heiden eingegangen ist. Und so wird ganz Israel errettet werden, wie geschrieben steht: "Es wird kommen aus Zion der Erretter, er wird abwenden die Gottlosigkeit von Jakob. Und dies ist für sie der Bund von mir, wenn ich wegnehmen werde ihre Sünden".(33)

In Röm 11,11 hatte Paulus aufgezeigt, daß die Verstockung der Juden geschah, damit das Heil zu den Heiden gelangen konnte. Hier in 11,25 zeigt Paulus nun, daß diese Verstockung zeitlich begrenzt ist, nämlich "bis die Vollzahl der Heiden eingegangen ist". Hinter der Vorstellung des Eingehens der Heidenfülle vermuten viele Exegeten den traditionsgeschichtlichen Hintergrund der alttestamentlich-frühjüdischen Erwartung der Völkerwallfahrt zum Zion in der Endzeit (Jes 2,2ff u.a.).(34) Dies würde eine Umkehrung der alttestamentlichen Erwartung in dem Sinne bedeuten, daß die Heiden nicht zum Zion inmitten des erlösten Israel strömen, sondern die Erlösung Israels der Völkerwallfahrt nachfolgt. N. Lohfink nennt dieses "Einströmen der Völker in die Gemeinschaft der Jesus Nachfolgenden" allerdings "beginnendes Eschaton":(35) Die Kirche sei "dem Rest der Menschheit gegenüber in der Situation des Gottesvolkes, das noch auf die einsetzende Wallfahrt der anderen harrt".(36) Das "Eingehen" der Völker muß m.E. nicht notwendigerweise die Vorstellung der Völkerwallfahrt zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund haben. Viele Exegeten(37) fügen nämlich zum "Eingehen" "in Gottes Herrschaft" hinzu, was sich eher auf die Errettung durch das Evangelium vom Sühnetod Jesu bezieht. Eindeutigere Hinweise auf die Zionswallfahrtstradition finden sich in den Logien Mt 8,11; 5,14 und Mk 11,17.(38) Von einer tatsächlichen Umkehrung der alttestamentlichen Ordnung, die die Errettung der Heidenvölker durch das erlöste Israel beschreibt, sprechen allerdings Röm 11,30-32: Während des derzeitigen Ungehorsams Israels gelangen die Heiden zum Gehorsam, und erst danach wird auch Israel wieder zum Gehorsam gelangen. O. Betz bezeichnet dies als den großen "Umweg Gottes zu Israel, [...] gleichsam eine List der göttlichen Vernunft, die schließlich doch ihr Ziel, die Rettung Israels, erreicht".(39) Diese Umkehr der Reihenfolge in der Heilsteilhabe ist übrigens schon bei Abraham vorgezeichnet: Dieser empfing seine Rechtfertigung als Heide (Gen 15,6) und ließ sich erst danach beschneiden (Gen 17; vgl. a. Röm 4).(40)

Wenn also die Vollzahl der Heidenvölker eingegangen sein wird, dann wird ganz Israel errettet werden, wie auch der Prophet Jesaja es schon vorhersieht: Der Erlöser wird aus Zion kommen und die Sünden des Volkes wegnehmen (V.26f.; vgl. Jes 59,20; 27,9). Dann wird die Verstockung aufgehoben und die Decke von ihrem Herzen abgetan werden (2Kor 3,16), "und so wird ganz Israel gerettet werden", nämlich bei der Parusie Christi. Die Errettung geschieht, indem der wiederkehrende Christus die Sünden des Volkes Israel wegnimmt (Rö 11,26b.27) und so die Rechtfertigung des Gottlosen geschieht. Hofius schreibt hierzu: "Die Rettung 'ganz Israels' erfolgt demnach bei der Parusie Christi, und sie geschieht durch Christus selbst".(41) Was bedeuten in V.26 und ? ("ganz Israel") meint, so die Mehrzahl der Exegeten, "Israel als Volksganzes, nicht die Summe jedes einzelnen".(42) Die Kirche ist mit hier ganz sicher nicht gemeint, diese Interpretation wird allein durch die Entsprechung zwischen der "Fülle der Heiden" in V.25 und "ganz Israel" in V.26 widerlegt. Außerdem ist zu fragen, ob die Errettung der "ganzen Kirche" (wie V.26 dann zu übersetzen wäre) die Bezeichnung "Geheimnis" (V.25) verdient. ("aus Zion") meint wohl das himmlische Jerusalem, das irdische Jerusalem kann jedoch in diesem Begriff mit-gedacht werden,(43) was dann die Zionswallfahrtstradition miteinschließen würde: Gottes Weisung wird von Zion aus in alle Welt gehen (Jes 2,2-4).

Besagt demnach Röm 11,25-27 nun, daß Gottes Verheißung für das jüdische Volk die endzeitliche Errettung durch den wiederkehrenden Christus ist, so gibt es unter messianischen Juden die Ansicht, daß diese Errettung im Lande Israel stattfinden wird und daß mit dieser Errettung das Volk Israel seine Berufung endgültig annehmen wird: Licht zu sein für die Nationen, ein Beispielvolk auf Erden zu sein, das durch sein Beispiel Nationen zur Erkenntnis Gottes führt (Jes 2,2ff u.a.).

Dieser Sichtweise, die auch von vielen pietistischen Schriften geteilt wird,(44) hält J. van Oorschot entgegen, daß in Röm 11,25-32 "keine Rede von einer nationalstaatlichen, in Palästina sich ereignenden Erfüllung der Land-, Mehrungs-, Zions- oder Davidsverheißung [ist]." Das "Heil Israels" liege vielmehr "im wiederkommenden Christus und in der Sündenvergebung beschlossen".(45) Tatsächlich ist Paulus' Interesse in Röm 11,25-32 (wie auch sonst) christologisch. Muß aber deshalb die Möglichkeit ausgeschlossen werden, daß die Sündenvergebung durch den wiederkehrenden Christus an einem ins Land Israel wiederhergestellten Volke Israel geschieht? In den von Oorschot erwähnten Versen 25-32 findet sich nämlich in V.29 die Aussage des Apostels: Gottes Berufung und seine Gnadengaben sind "unbereubar" (µµ). Vom Kontext her ist klar, daß hier Israels Berufung gemeint ist, denn in ganz Röm 11 ist vom Volke Israel die Rede, und der vor V.29 liegende V.28 spricht von den Juden als "Geliebte um der Väter willen". Israels Berufung, die im Abrahamsbund(46) festgemacht wurde, ist, so V.29, nicht aufgehoben. Diese Berufung Israels besteht jedoch nicht nur darin, daß ihm die Sünden vergeben werden (Röm 11,26f.), sondern auch darin, eine Segenswirkung auf die ganze Welt zu haben (Gen 12,3).Hierüber spricht Paulus in Röm 11,12.15:

Wenn aber ihr Fehltritt der Reichtum der Welt und ihre Niederlage der Reichtum der Nationen ist, wieviel mehr ihre Vollzahl? Denn wenn ihre Verwerfung Versöhnung der Welt ist, was wird die Annahme anders sein als Leben aus den Toten?(47)

Wenn schon die "Verwerfung", das Beiseitestellen Israels der Welt Versöhnung brachte, also eine Segenswirkung hatte, wieviel mehr wird das seine Wiederannahme haben! Es wird sein "Leben aus den Toten". V.12 und V.15 haben die Argumentationsform des qal-wachomer, des Schlusses vom Geringeren zum Größeren.(48) Weil sich jeweils 12a und 15a auf die Heiden bezieht, muß man auch 12b und 15b auf die Heiden bezogen denken: Wie die Verwerfung Israels eine Auswirkung auf die Völker hat, so auch die Annahme Israels. Diese Stelle beweist m.E. noch deutlicher als 11,26, daß Paulus an einem fortdauernden Plan Gottes für Israel als ethnischem Volk festgehalten hat. Denn als dieses Volk wurde es (mit Ausnahme des Überrestes) verstockt, was zum Heil der Heiden beitrug. Als dieses Volk wird es eine Wiederherstellung und Annahme erfahren, was sich wiederum auf die Heiden auswirken wird. Auch U. Wilkens zieht aus V.15 den Schluß, "daß die Heiden nicht nur jetzt, sondern auch in der endzeitlichen Zukunft, vermittelt durch Israel, an Gottes Heil teilhaben [...]. Denn die Wirklichkeit der Heilsteilhabe, die sie empfangen haben, ist und bleibt gebunden an das Gottesverhältnis Israels als seines erwählten Volkes".(49) Ähnlich formuliert P. Stuhlmacher: "An Gottes Weg mit Israel hängt die Erlösung der ganzen Welt; er ist die prägende Komponente der Erwählungs- und Heilsgeschichte!"(50)

Was aber bedeutet ("Leben aus den Toten", V.15)? Häufig wird es als die allgemeine Totenauferstehung gedeutet. Dem widerspricht, daß Paulus sonst für die Totenauferstehung den Ausdruck ("Auferstehung aus den Toten") verwendet (vgl. z.B. 1Kor 15,21). Nach D. Zeller spricht demnach " [...] den Heiden die eschatologische Vollendung ihres Heils zu, und dies im Zusammenhang mit der sich an Israel offenbarenden Gnade Gottes".(51) O. Betz bezieht auf die Vollendung des Missionsauftrages durch das wiederhergestellte Volk Israel. Die Versöhnung der Welt (V.15) fordere nämlich vom Menschen den Dienst der Versöhnung (vgl. 2Kor 5,18), welchen Paulus eingenommen habe und welchen Israel in der messianischen Zeit einnehmen werde.(52)

Ich möchte offenlassen, was hier heißt. Festzuhalten ist jedoch, daß die Annahme Israels eine Segenswirkung, welcherart auch immer, auf die ganze Welt haben wird. Wie in 11,26 und 11,29 wird hier der Beweis geliefert, daß Israel als Volk weiterhin eine Rolle hat in Gottes Heilsplan, nämlich die Völkerwelt zu segnen. Hier bestätigt sich auch, daß der Abrahamsbund für Israel als Volk weiterhin in Kraft ist, von dem eine Komponente lautet: "In dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden" (Gen 12,3). Von einer Erfüllung der staatlichen Identität(53) ist in Röm 11 nicht expressis verbis die Rede, jedoch sagt Paulus seinem Volk durch die Verheißung der Sündenvergebung (Röm 11,26) die Erfüllung der Zusage "ich will euer Gott sein und ihr sollt mein Volk sein" (Lev 26,12) zu, wie auch die Erfüllung der Segensverheißung (Gen 12,3), die sich an und durch Israel als Nation erfüllen wird (Röm 11,15). Ob diese Nation ein Land hat oder nicht, wird in Röm 11 nicht erwähnt, also weder bejaht noch negiert.(54)

Weil er selbst um die Frage ringt, was angesichts des alleinigen Heils in Jesus Christus mit dem Volke Israel ist, und weil es wohl in Rom Heidenchristen gab, die auf die Juden verächtlich herabblickten,(55) "verrät" Paulus hier in Römer 11 den Christen in Rom ein "Geheimnis" (V.25), das Gott ihm offenbart hat: Es gibt eine Heilszukunft für Israel, denn Gott ist seinem Wort, seiner Zusage an Israel und seinen Verheißungen nicht untreu geworden. Wie diese Heilszukunft aussieht, darüber verliert sich Paulus nicht in apokalyptischen Darstellungen, deutet sie vielmehr nur an: Israel wird als Volksganzes bei der Wiederkunft Christi gerettet werden (Röm 11,26f.), und dies wird eine Segenswirkung auf die ganze Welt haben (Röm 11,12.15). Wie Jesus den Blick seiner Jünger (Apg 1,6-8; s.u.), so richtet auch Paulus unseren Blick auf das heute: Er hofft, daß er durch seine Heidenmission einige der Juden eifersüchtig machen und so erretten kann (11,13f.), und er betet um die Errettung Israels (Röm 10,1). Paulus' Schweigen über eine genaue Zukunftsbeschreibung des Volkes Israel sollte uns vor apokalyptischen Spekulationen warnen. Sein Schweigen darf uns aber auch nicht dazu verleiten, dem Volke Israel solch eine Heilszukunft abzusprechen, wie es leider größtenteils von Seiten der Kirche geschah. Denn daß es eine Heilszukunft für Israel als ethnischem Volk gibt, sagt Paulus in Röm 11 klar und eindeutig.(56) Gott wäre nicht mehr Gott, wenn er durch Israels Untreue seine Bundeszusagen Israel gegenüber einfach aufheben und nicht vollständig erfüllen würde (vgl. Röm 3,3).

Übrigens findet sich auch bei den messianischen Juden größtenteils diese paulinische Ausgewogenheit: Sie betonen immer wieder, daß Israel eine Heilszukunft als Volk hat, verlieren sich aber nicht in Beschreibungen derselben, sondern verkündigen das Evangelium unter Juden und Heiden und bauen Gemeinden.

5.2.6.2. Weitere neutestamentliche Stellen

Außer in Röm 11 sagt das NT über die Zukunft Israels als Volk wenig aus, wohingegen das AT voller Aussagen zu diesem Thema ist. Die messianischen Juden haben weitere neutestamentliche Stellen in die Diskussion gebracht, von welchen die folgenden hier kurz behandelt werden sollen: Lk 21,24; Lk 13,35 und Apg 1,6-8.

Lk 21,24b (Jerusalem wird zertreten werden von den Heiden, bis die Zeiten der Heiden erfüllt sind) wird von den Exegeten verschieden interpretiert: Das "bis" kann die Zeit bis zur Parusie, die Zeit bis zur Bekehrung ganz Israels oder auch bis zur jüdischen Wiedereroberung meinen.(57) Lukas gibt nicht an, wann "die Zeiten der Heiden erfüllt sind", er spricht aber auf jeden Fall von einem Ende der Drangsalierung Israels durch die Heiden und läßt m.E. die Möglichkeit einer Wiederherstellung des jüdischen Volkes im Lande Israel noch vor der Parusie theologisch offen.

Zu Lk 13,35 (Ihr werdet mich nicht sehen, bis die Zeit kommt, da ihr sagen werdet: Gelobt ist, der da kommt in dem Namen des Herrn!) schreibt W. Wiefel: "Faßt man die Adressierung des prophetischen Wortes streng, so schließt es die Vorstellung ein, daß die Angeredeten (Jerusalem, die Judenschaft) schließlich Jesus als Messias huldigen werden (vgl. Röm 11,26ff.)".(58) Jesus verheißt dem jüdischen Volk in Jerusalem, daß es ihn dort eines Tages willkommen heißen wird.

Zu Apg 1,6-8 (Jesus antwortet auf die Frage der Jünger "wann wirst du das Reich für Israel wieder aufrichten?": "Es gebührt euch nicht, die Zeit zu wissen, aber ihr werdet die Kraft des heiligen Geistes empfangen und meine Zeugen sein") schreibt A. Schlatter:

"Was aus Israel wird und wie ihm das Reich kommt, das bedeckt Jesus mit einem Geheimnis, weil die Aufrichtung des Reichs für Israel nicht zum Beruf der Jünger gehört. Das heißt er sie ruhig in die Hände Gottes legen. Er bestätigt alle Verheißungen Gottes, die sich auch an Israel reichlich und überreichlich erfüllen werden. Wann und wie er dies tut, steht klar in Gottes Blick. Den Jüngern dagegen liegt nicht ob, Israel zur Herrschaft zu verhelfen [...]. Jesus hält ihren Blick bei dem fest, was ihr eigenes Werk ausmacht [nämlich seine Zeugen zu sein, vgl. V.8]".(59)

Für die Auslegung von Apg 1,6f. kommt es im Wesentlichen auf das Verständnis des "Reich-Gottes"-Gedankens () an. Wird das Reich Gottes rein geistlich verstanden,(60) so bezieht es sich allein auf die Rechtfertigung vor Gott. Wird es aber auch als irdische Herrschaft Christi verstanden und "Israel" in Apg 1,6 nicht auf die Kirche gedeutet,(61) so spricht Apg 1,6f. die Tatsache an, daß das irdische messianische Reich für Israel kommen wird. M.E. meinen die (jüdischen) Jünger hier mit der Frage nach dem Reich "für Israel" das von den Juden erwartete messianische Reich des wiederhergestellten Israel. Jesus verneint diese Frage der Jünger nach dem messianischen Reich nicht; nur wie und wann es kommen wird, versagt er den Jüngern zu erfahren. Jesus lenkt ihren Blick auf ihre jetzige Aufgabe, nämlich die Verkündigung des Evangeliums in Jerusalem und in aller Welt (V.8).

5.2.6.3. Die biblischen Landverheißungen

Die messianischen Juden deuten die alttestamentlichen Verheißungen über die Wiederherstellung Israels im geistlichen Sinn auf die Kirche aus Juden und Heiden, im wörtlichen Sinn jedoch auf das Volk Israel.

Nach alttestamentlichem Verständnis gehören Volk Israel und Land Israel untrennbar zusammen. Als Folge des Ungehorsams wird dem Volk die Vertreibung verheißen (Dtn 28,64), als Folge der Wiederannahme die Rückkehr ins Land und dessen erneute Besitznahme (Dtn 30,3-5; Hes 37,25 u.a.). Was ist nun aber neutestamentlich zur Frage der Landverheißungen an Israel zu sagen? Sind diese Verheißungen in Christus aufgehoben, weil sie in ihm erfüllt sind? W. Wirth schreibt zu dieser Fragestellung:

"Es ist auffällig, daß in den prophetischen Droh- und Gerichtsworten Jesu zwar von der Verwerfung führender Schichten, in den Apokalypsen von Kriegen, die das Land überziehen werden, und von der Zerstörung Jerusalems die Rede ist, nie aber die Existenz des Gottesvolkes Israel aufgehoben und nie der endgültige Verlust des Landes erwähnt wird. Das ist ein deutliches Zeichen dafür, daß eine Annulierung der göttlichen Verheißung überhaupt nicht in Frage kommt".(62)

Das Neue Testament erwähnt nicht ausdrücklich die Landfrage. Paulus beschäftigt sich zwar mit der Frage der Verstockung Israels, nicht jedoch mit dessen Zerstreuung (die erst nach Abfassung der paulinischen Schriften stattfand). Dadurch, daß Paulus jedoch ausdrücklich die bleibende Erwählung und Berufung Israels erwähnt (z.B. Röm 11,29), kann von hier aus auf die Landfrage geschlossen werden: Nach alttestamentlichem Selbstverständnis sind Volk und Land untrennbar verbunden.(63) Bleibt die Erwählung und Berufung Israels bestehen, auch in ihrer Erfüllung in Christus, so bleibt auch die fortdauernde Verbindung des jüdischen Volkes mit dem Lande Israel. In diesem Sinne sieht die Studie Israel und die Kirche der Niederländischen Reformierten Kirche im Staat Israel "ein Zeichen von Gottes Treue".(64)

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß das Neue Testament außer der geistlichen Errettung Israels (Röm 11,26) und deren Segenswirkung (Röm 11,12.15) keine genauen Angaben über die Zukunft Israels gibt. Immer wieder wird jedoch dargelegt, daß es eine solche (hoffnungsvolle) Zukunft für Israel als Volk macht. Außerdem negiert das NT eine Erfüllung der irdischen Verheißungen an Israel nicht und läßt so diese Erfüllung zumindest theologisch offen.

Wie die Zukunft des Volkes Israel im Einzelnen geschieht und noch geschehen wird, das soll Gott überlassen bleiben; wichtig ist, daß wir anerkennen, daß eine Zukunft für Israel als Volk durch das NT bestätigt ist, daß die Gnadengaben an Israel und seine Berufung von Gott auf Golgatha nicht zurückgenommen wurden. Diese Erkenntnis bewahrt die Heidenchristen vor einer falschen Beziehung zum Volke Israel und es bewahrt die Kirche davor, sich selbst als die Wurzel zu betrachten.(65)

5.3. Das Selbstverständnis des Paulus und der Jerusalemer Urgemeinde

Wir haben bisher gesehen, daß Gottes Bund mit Israel und Israels Berufung trotz dessen Fehlschlägen weiterhin aufgerichtet bleibt und auch durch Christi Kommen nicht abgetan ist. Was haben aber nun die messianischen Juden mit dem alten Bund zu tun, da sie doch schon im neuen Bund stehen, ihre Identität also im Leib Jesu haben? Sind nicht weder Jude noch Heide in Christus (Gal 3,28)? In Bezug auf die Rechtfertigung vor Gott und innerhalb der Kirche - ja. Dennoch ist, so schreibt H.W. Beyer, "mit diesem Satz die irdische Ordnung, nach welcher wir Glieder eines Volkes oder eines bestimmten Standes, nach welcher wir Mann oder Frau sind, nicht aufgehoben, sondern im Gegenteil für den gesamten Bereich unseres In-der-Welt-Seins ausdrücklich bestätigt".(66) In Bezug auf die Rechtfertigung ist - und hier spricht Paulus sehr deutlich - kein Unterschied zwischen Juden und Heiden. Sieht sich deshalb Paulus als "ehemaliger" Jude?

5.3.1. Paulus

Paulus bezeichnet sich in Röm 11,1 als "Israelit". Er sagt nicht, daß er Israelit war, sondern daß er ein solcher ist. Er gebraucht den Hinweis auf seine jüdische Herkunft sogar für seine Beweisführung, daß Gott das Volk Israel nicht verstoßen hat - er selbst sei ein Zeichen dafür (Röm 11,1-5). Hier spricht er von seinem Jude-Sein im Zusammenhang mit der Frage des Heils - in diesem Fall für Israel.

In Phil 3,4-9 hatte Paulus die Vorzüge seiner jüdische Herkunft noch relativiert im Lichte des Rechtfertigungsevangeliums. Hier in Röm 11 spricht Paulus jedoch positiv von seiner jüdischen Abstammung als Zeichen der bleibenden Erwählung Israels (s.a. Röm 9,4f.). Paulus sieht sich weiterhin als dem jüdischen Volke zugehörig, genauer gesagt, dem Überrest in diesem Volke (Röm 11,1-5). Der Überrest einer Größe ist immer Teil dieser Größe, er befindet sich nicht außerhalb von ihr. Auch im AT bezeichnet der Überrest immer einen Teil innerhalb des jüdischen Volkes. Zu Petrus sagt Paulus: "Wir sind von Natur Juden und nicht Sünder aus den Heiden, [...] wir sind an Jesus Christus gläubig geworden" (Gal 2,15f.).(67) Paulus bezeichnet sich hier als "christusgläubigen Juden"!(68) Auch der Gemeinde in Korinth empfielt er: "Ist jemand als Beschnittener berufen, der bleibe bei der Beschneidung. Ist jemand als Unbeschnittener berufen, der lasse sich nicht beschneiden" (1Kor 7,18). Die Judenchristen sollen die Heidenchristen nicht zwingen, Juden zu werden. Dies ließe sich auch umgekehrt formulieren: Die Heidenchristen sollen die Judenchristen nicht zwingen, "Heiden" zu werden, d.h. alles jüdische abzulegen.

Paulus sieht diese Identität im jüdischen Volk aber im Lichte des Rechtfertigungsevangeliums, seiner Identität in der Kirche Christi: Den Juden gegenüber verhält er sich wie ein Jude, um die Juden für sein Evangelium zu gewinnen (1Kor 9,20). Genauso besitzt er auch die Freiheit, sich den Heiden gegenüber wie ein Heide zu verhalten, um jene zu gewinnen. Paulus sieht die bleibenden Vorzüge Israels (Röm 3,1f.; 9,4f.), die auch nach Christi Tod Gültigkeit haben. Verpflichtet sieht er sich aber Christus und dessen Auftrag an ihn, das Evangelium in alle Welt zu tragen. Dabei hofft er, auch seine Stammverwandten zu gewinnen. Wie vieles andere, so relativiert Paulus auch das Jude-Sein und Nicht-Jude-Sein im Lichte der neuen Schöpfung, die Gott im neuen Bund durch die Rechtfertigung wahrnimmt: "In Christus Jesus gilt weder Beschneidung noch Unbeschnittensein etwas, sondern der Glaube, der durch die Liebe tätig ist" (Gal 5,6) bzw. die "neue Kreatur" (Gal 6,15). Er setzt also seine Prioritäten klar fest: Die Tatsache des Jude-Seins und Nicht-Jude-Seins betrifft unsere irdische Existenz ("Wir sind von Natur Juden" Gal 2,15; "Meine Brüder, die meine Stammverwandten sind nach dem Fleisch, die Israeliten sind" Röm 9,3f.). Diese irdische Berufung betrifft die Dinge dieses Zeitalters, die weniger wichtig sind als die Dinge des neuen Äons, die aber dennoch ihren Platz haben. Denn Paulus sagt genauso, daß die, die Frauen haben, sein sollen, "als hätten sie keine" (1Kor 7,29). Dennoch hat die Ehe ihren (hohen!) Stellenwert im menschlichen Leben.

Paulus ordnet also alles dem Rechtfertigungsevangelium unter, auch die jüdische oder nichtjüdische Abstammung: Jeder soll ist seinem Stande bleiben. Dies hält Paulus den Judaisten entgegen. Den hochmüten Heidenchristen, die alle Unterschiede zwischen Juden- und Heidenchristen ausmerzen wollen, hält er jedoch das Bild vom Ölbaum (Röm 11, 16-24) entgegen: Die Judenchristen sind immer noch die echten Zweige. Deshalb sollen sich die Heidenchristen nicht überheben.

5.3.2. Die judenchristliche Gemeinde nach dem Zeugnis der Apostelgeschichte

Die ersten Judenchristen, wie sie in der Apostelgeschichte beschrieben werden, lebten weiterhin als Juden: Sie waren täglich im Tempel (Apg 2,46) und sie waren "Eiferer für das Gesetz" (Apg 21,20). Diese ersten Judenchristen sahen Jesus Christus als den im AT verheißenen Messias Israels. Petrus verkündigte, als er über Jesus Christus sprach: "So wisse nun das ganze Haus Israel gewiß" (Apg 2,36); "Für euch zuerst hat Gott seinen Knecht Jesus erweckt" (Apg 3,26); "Den hat Gott durch seine rechte Hand erhöht zum Fürsten und Heiland, um Israel Buße und Vergebung der Sünden zu geben (Apg 5,31). Deshalb sahen die Judenchristen keinen Grund, nun das Volk Israel zu verlassen, nur weil sie dessen Messias angenommen hatten. Sie sahen sich allerdings durch ihren Glauben auch als geschieden vom Volk Israel. So verkündigte Petrus: "Laßt euch erretten aus diesem verkehrten Geschlecht!" (Apg 2,40).

Ein großes Problem im Umgang mit ihrem jüdischen Erbe war die Gemeinschaft der Judenchristen mit den Heidenchristen, was sich im Aposteldekret (Apg 15) und in Paulus' Streit mit Petrus in Antiochien (Gal 2,11-16) niederschlägt.
 
 
 
 

5.3.3. Die Frage des Gesetzes

Das Thema "Gesetz" ist ein in der Exegese sehr umstrittenes Thema. Die messianischen Juden kritisieren ein Verständnis des Gesetzes, das dieses auf den usus elenchticus(69) begrenzt, also die alttestamentliche Tora als in Christus abgetan bezeichnet. Jesus und Paulus, so sagen die messianischen Juden, kritisieren nicht das Gesetz als solches, sondern einen falschen Umgang mit dem Gesetz.

Uns interessiert in diesem exegetischen Durchgang vor allem die Frage, wie ein messianischer Jude mit der alttestamentlichen Tora umgehen soll.

5.3.3.1. Jesus und die Tora

Jesus kam nach seiner eigenen Aussage nicht, um das Gesetz aufzulösen, sondern um es zu erfüllen (Mt 5,17, vgl. auch V.18-20). Er lebte nach dem jüdischen Gesetz, kritisierte jedoch die mündliche Überlieferung (Mk 7,9) und zeigte an einigen Punkten einen Umgang mit dem Gesetz, der die Kritik der religiösen Oberschicht hervorrief. Dies wird vor allem in den Antithesen der Bergpredigt und im Umgang mit dem Sabbat deutlich. Hier zeigt Jesus, daß er die Mosetora kritisch auf der Grundlage des Doppelgebotes der Gottes- und Nächstenliebe mißt. Außerdem werden von Jesus "die pharisäischen Reinheitsvorschriften [...] zugunsten der Ganzheitshingabe des Menschen an Gottes Willen hinterfragt".(70)

Nach der Vorstellung des Judentums zur Zeit Jesu ist der Mensch fähig, die Tora zu halten durch den in ihm wohnenden guten Trieb.(71) Jesus aber forderte: "Darum sollt ihr vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist" (Mt 5,48; vgl. auch 19,21f.). Dies ist dem Menschen mit seiner "Herzens Härte" (Mk 10,5) nicht möglich. Deshalb hat Jesus das Gesetz nicht nur "aufgerichtet" (vgl. Mt 5,21-48), sondern auch "erfüllt" (Mt 5,17). Paulus formuliert diese Tatsache folgendermaßen: "Denn was dem Gesetz unmöglich war, weil es durch das Fleisch geschwächt war, das tat Gott: Er sandte seinen Sohn [...], damit die Gerechtigkeit, vom Gesetz gefordert, in uns erfüllt werde." (Röm 8,3f.). Dadurch daß Jesus sein Leben als "Lösegeld" für die Vielen gab (Mk 10,45) und so den Willen Gottes erfüllte, erwirkte er die Vergebung und ermöglichte die Aufrichtung des Neuen Bundes, in welchem das Gesetz dem Gläubigen ins Herz geschrieben ist und der Gläubige durch den Geist nach dem Willen Gottes geleitet wird.

5.3.3.2. Paulus und die Tora

Paulus versteht unter "Gesetz" (µ) die "Willenskundgebung Gottes",(72) wie sie im Pentateuch überliefert ist. Der ehemalige Pharisäer und spätere Heidenmissionar will das Gesetz nicht "aufheben" durch den Glauben, sondern es "aufrichten" (Röm 3,31). Das Gesetz ist "heilig, gerecht und gut" (Röm 7,12). Andererseits ist aber das Gesetz nur ein "Zuchtmeister auf Christus hin" (Gal 3,24). Es ist "zwischen-eingekommen" (Gal 3,19). Christus ist des Gesetzes "Ende" und "Erfüllung" (; Röm 10,4). Er hat uns erlöst von dem "Fluch des Gesetzes" (Gal 3,13), er hat die erlöst, "die unter dem Gesetz waren, damit wir die Kindschaft empfingen" (Gal 4,5).

Wie diese Aussagen widersprüchlich erscheinen, so finden wir auch bei den Exegeten die verschiedensten Verständnisse:

P. Stuhlmacher(73) z.B. spricht von einer messianischen "Zionstora",(74) die durch Jesus Christus aufgerichtet wurde, im neuen Bund in Kraft tritt und im Liebesgebot zusammengefaßt ist. Er sagt weiter: "Jesus richtet den endzeitlichen Willen Gottes auf, der die Gottesherrschaft kennzeichnet und alle diejenigen betrifft, denen die Gottesherrschaft durch ihn eröffnet wird".(75)

Für O. Hofius(76) dagegen gibt es keinen dritten usus(77) des Gesetzes, weil dasselbe für ihn nur anklagende Funktion hat. Das Gesetz ist zwar der gute Wille Gottes, aber dadurch, daß der Mensch von vornherein unter der Sünde ist, könne das Gesetz den Menschen nur anklagen. Das "Gesetz Christi" (Gal 6,2) sieht Hofius als die Evangeliumszusage Christi an.

Nach O. Betz wiederum geht es "nicht um die Aufhebung der Tora, sondern um deren Erfüllung in der messianischen Zeit":(78) "Die Tora Moses bleibt in der messianischen Zeit bestehen; sie gilt auch in der Kirche der Heiden und Juden, wo sie in der Kraft des Geistes und als Liebesgebot erfüllt wird".(79)

Das Gesetz ist geistlich,(80) der Mensch ohne Christus aber fleischlich (Röm 7,14), und deshalb wesensmäßig vom Gesetz geschieden. Das Gesetz ist dem Fleisch gegenüber zu schwach (Röm 8,3), weil es den Geist nicht gibt. Erst der getaufte und zu Christus gehörende Christ erhält den Geist. Weil er im Geist wandelt, erfüllt er die Rechtsforderung des Gesetzes (Röm 8,4). Diese Rechtsforderung des Gesetzes meint nicht die Tora des Mose, sondern das hinter ihr stehende Recht, das mit der Schöpfung gesetzt worden ist, die Schöpfungsordnung, die auch den Heiden ins Herz geschrieben ist durch ihr Gewissen (Röm 2,15). Der Christ ist nicht mehr "unter" dem Gesetz, d.h. das Gesetz hat seine über ihn herrschende Macht verloren und genauso seine Anklagefunktion. Die Gerechtigkeit Gottes wird unter Ausschluß des Gesetzes offenbart (Röm 3,12). Keiner kann durch die Werke des Gesetzes gerecht werden. Dies ist der Grund, daß Paulus im Galaterbrief gegen die Judaisten argumentiert, die von den Heidenchristen fordern, daß sich diese beschneiden müssen, sich also ins Volk der Juden eingliedern müssen, um vor Gott gerechtfertigt zu sein.

Der Christ ist aber auch nicht "ohne" Gesetz (1Kor 9,21), er ist "kein Antinomist",(81) sondern er ist unter dem "Gesetz Christi" (1Kor 9,21; Gal 6,2). Kraft des in ihm wohnenden Geistes erfüllt der Christ das im Liebesgebot zusammengefaßte Gesetz, insofern es den ewigen Gotteswillen darstellt.

Die Aufgabe der Tora ist, den Menschen zu richten und zu verurteilen, zur Erkenntnis der Sünde zu führen. Der usus elenchticus mehrt die Sünde, zeigt die Unfähigkeit, dem Gesetz zu entsprechen und bereitet so auf das Evangelium Jesu Christi vor. So ist das Gesetz Erzieher auf Christus hin. Die Geltung des Gesetzes darf aber nicht auf den usus elenchticus reduziert werden. Eigentlich ist das Gesetz dazu da, getan zu werden. Der Geist-Begabte kann dem geistlichen Gesetz gehorchen, durch den Vollzug des Liebesgebots ihm Genüge tun. Nicht das Gesetz muß verändert werden, sondern der Mensch. "Christus beendet ihre [der Tora] Zuchtmeisterrolle, gibt der Tora ihre ethische Aufgabe zurück: Durch das Liebesgebot kann sie im Leben des Glaubenden führend sein".(82)

Die Tora darf aber nicht mehr Trennwand zwischen Juden- und Heidenchristen sein (Gal 2,11ff.; Eph 2,11ff.). In der Kirche hat die Tora ihre die Juden von den Völkern isolierende Funktion (die v.a. durch die Reinheits- und Speisegebote gegeben war) verloren, Christus hat die Trennmauer niedergerissen.(83)

5.3.3.3. Der Umgang der Judenchristen mit der Tora

Uns interessiert vom Thema "Gesetz" natürlich vor allem die Frage des Gebrauchs der Tora durch die messianischen Juden. Wie ist die judenchristliche Gemeinde in Jerusalem und wie ist Paulus mit der Tora umgegangen?

Wie wir schon gesehen haben, lebten die Jerusalemer Judenchristen weiter nach dem alttestamentlichen Gesetz: Sie waren täglich im Tempel (Apg 2,46; 3,1), sie waren "Eiferer für das Gesetz" (Apg 21,20).

Paulus beschnitt den Juden Timotheus (Apg 16,3), wogegen er den Heiden Titus nicht beschnitt. Er machte also einen Unterschied zwischen Juden- und Heidenchristen.(84) Paulus sagt, daß in Christus "weder Jude noch Grieche" ist, genauso aber, daß "weder Frau noch Mann" ist (Gal 3,28), bei welchen er durchaus einen Unterschied beibehält (vgl. z.B. 1Kor 11,3). Er beschreibt seinen Umgang mit dem Gesetz in 1Kor 9,20-22: "Den Juden bin ich wie ein Jude geworden, damit ich die Juden gewinne...". Er ist "nicht unter dem Gesetz" (V.20), aber auch "nicht ohne Gesetz" (V.21), denn er ist unter dem "Gesetz Christi" (vgl. Gal 6,2). Dennoch lebt Paulus wie einer, der "unter dem Gesetz" ist, und das mit der Motivation, die Juden für das Evangelium zu gewinnen. Paulus legt sich selbst also auf, daß er im Kontakt mit Juden wie ein Jude lebt. Er legt allerdings auch den Judenchristen auf, daß sie im Kontakt mit Heidenchristen wie solche sind, die nicht "unter dem Gesetz" sind.(85)

Das größte Problem im Umgang mit dem jüdischen Erbe war die Gemeinschaft der Judenchristen mit den Heidenchristen in der Gemeinde, was sich im Aposteldekret (Apg 15) und in Paulus' Streit mit Petrus in Antiochien (Gal 2,11-16) niederschlägt. O. Bauernfeind schreibt hierzu: "Das Apostelkonzil (Gal 2,1-10; Apg 15) unterschied zwischen dem Bleiben unter dem Gesetz und dem Eintritt in die Gesetzesgemeinschaft: das Bleiben wurde nicht zum Problem, der Eintritt aber sollte nicht gefordert werden".(86)

Für die Paulusschule (Eph 2,11ff.) galt das Gesetz als abgetan, insofern es eine Mauer bildete zwischen Juden und Heiden (v.a. durch die Reinheitsgebote).

Zusammenfassend wäre zu sagen, daß Paulus beim Thema "Gesetz" vor allem auf die neue Beziehung des Menschen zum Gesetz zu sprechen kommt:(87) Der Mensch ist nicht mehr "unter dem Gesetz", sondern "unter der Gnade" (Röm 6,14). Deshalb steht er in der Freiheit, das Gesetz, insofern es sich auf die nationalen Gepflogenheiten des jüdischen Volkes bezieht, zu halten oder auch nicht. Wir sehen im Neuen Testament, daß die Jerusalemer Gemeinde sich daran gehalten hat, und auch Paulus, sofern er im Kontakt mit anderen Juden war (1Kor 9,20). Hinter dem jüdischen Zeremonialgesetz steht jedoch der ewige Wille Gottes, und von diesem ist der Mensch nicht befreit, sondern er ist unter dem im Liebesgebot zusammenge-faßten "Gesetz Christi", das ihm durch den heiligen Geist ins Herz geschrieben ist. Das Gesetz - ob es sich nun um das jüdische Zeremonialgesetz oder den allgemeinen Willen Gottes handelt - hat auf jeden Fall seine rechtfertigende Wirkung durch den Opfertod Christi verloren. Jeder Mensch, ob Jude oder Heide, wird "umsonst", als "Gottloser", alleine im Glauben an Jesus Christus gerechtfertigt (Röm 1,16f.; 3,23f.). Auch insofern das Gesetz eine scheidende Wirkung zwischen Juden und Heiden hatte, ist es für den Kontakt der Juden- und Heidenchristen in der Kirche aufgehoben (Gal 2,11ff.; Eph 2,11-22).

Die widersprüchlich erscheinenden Aussagen des Paulus über das Gesetz rühren m.E. u.a. daher, daß Paulus die Extreme der Gesetzlichkeit und des Antinomismus vermeiden will.

5.3.4. Das Sendungsbewußtsein der messianischen Juden: Israel und das Evangelium

Wie wir oben gesehen haben,(88) besitzen die messianischen Juden ein starkes Sendungsbewußtsein gegenüber dem jüdischen Volke. Sie kritisieren sowohl eine falsch verstandene Judenmission als auch eine Absage jeglicher Evangeliumsverkündigung unter Juden. Was sagt das Neue Testament über die Evangelisation unter Juden?

5.3.4.1. Gibt es einen "Sonderweg" für Israels Errettung?

Im jüdisch-christlichen Dialog wird oft die Ansicht vertreten, daß das Volk der Juden durch den Abrahamsbund schon errettet sei und den neuen Bund in Jesus Christus nicht mehr brauche (die sog. Zwei-Wege-Theologie).(89) Wir müssen deshalb anhand der heiligen Schrift untersuchen, ob es einen Heilsweg für Israel ohne Christus gibt.

Von messianisch-jüdischer Seite wird im Zusammenhang mit dieser Fragestellung häufig Joh 14,6 und Apg 4,12 zitiert. Beide Stellen zeigen, daß es Errettung "allein, exklusiv"(90) in Jesus Christus gibt, daß er der einzige Weg ist, um Gott den Schöpfer und Vater kennenzulernen. In Joh 14 redet Jesus zu Juden, in Apg 4 der Apostel Petrus zur jüdischen Obrigkeit.

Gerade der Römerbrief, aus dem die Kapitel 9-11 stammen, beschäftigt sich eingehend mit der Frage, ob es für Juden das Heil außerhalb von Christus gibt. Immer wieder stellt Paulus dort dar, daß in Bezug auf die Errettung und das ewige Leben kein Unterschied zwischen Juden und Heiden besteht.

So heißt es in dem Vers, der oft als Überschrift über den Römerbrief gesehen wird: Das Evangelium ist eine "Kraft Gottes, die selig macht alle, die daran glauben, die Juden zuerst und ebenso die Griechen" (1,16). Weiter stellt Paulus in 1,18-3,23 dann dar, daß alle Menschen - Juden wie Heiden - unter der Macht der Sünde sind (1,18-32; 2,17-29), und durch Werke des Gesetzes vor Gott nicht gerecht sein können (3,20). Paulus schließt: "Denn es ist kein Unterschied; sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten, und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade, durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist. Denn es ist der eine Gott, der gerecht macht die Juden aus dem Glauben und die Heiden durch den Glauben" (3,22-24.30).

Auch die Kapitel 9-11 werden durchzogen von der Thematik der Rechtfertigung:

In Röm 9,1-5 beschreibt Paulus seinen Schmerz, den er für Israel empfindet. Einen so großen Schmerz würde er nicht empfinden, wenn Israel seinen Heilsweg gefunden hätte.

Röm 10,2-13 zeigt, daß für Paulus nicht Werkgerechtigkeit, sondern allein der Glaube an Christus zur Gerechtigkeit führt. Die Heiden, die nicht nach Gerechtigkeit strebten, haben diese erlangt, Israel jedoch, das nach ihr strebte, hat sie nicht erreicht. Sie haben sich am Stein des Anstoßes gestoßen, welcher ist Christus. Deshalb betet Paulus nach Röm 10,1 für die Errettung Israels (10,1).

Wenn Paulus dann in Röm 10,14-21 darlegt, daß Israel die Botschaft von Christus gehört, aber nicht angenommen habe, so ist damit deutlich impliziert, daß die Botschaft von Christus auch den Juden gegenüber notwendig ist.

Auch das Ölbaum-Bild in Röm 11,17-24 zeigt eindeutig, daß die echten Zweige (die Juden) ausgebrochen sind, sich also nicht mehr am Ölbaum befinden, aber ebenso wie die Heiden einzig durch den Glauben an Christus eingepropft werden (11,20). Schließlich zeigt Röm 11,26f., daß Israel errettet wird durch den wiederkommenden Christus, und zwar so, daß durch Christus die Sünden weggenommen werden. Der neue Bund wird etabliert durch Christus, und nicht an Christus vorbei oder ohne ihn.

Gerade die sich mit dem Israel-Thema beschäftigenden Kapitel Röm 9-11 zeigen also, wie eng das Heil Israels mit dem Messias Jesus verbunden ist. P. Stuhlmacher sagt: "Christus Jesus ist und bleibt der eine und einzige Erretter, Herr und Richter aller Heiden und Juden. Ohne ihn zu bekennen, gibt es auch für Israel kein Heil vor Gott".(91) Und O. Hofius formuliert es so:

"'Ganz Israel' kommt nicht durch die Predigt des Evangeliums zum Heil. Das bedeutet jedoch keineswegs einen 'Sonderweg' am Evangelium vorbei und am Glauben an Christus vorbei! Israel wird vielmehr aus dem Munde des wiederkommenden Christus selbst das Evangelium vernehmen".(92)

Wir sehen also, daß das Evangelium vom stellvertrenden Sühnetod Jesu Juden wie Heiden gilt (vgl. auch Apg 15,11).(93) In Bezug auf ihre Errettung ist "kein Unterschied zwischen Jude und Grieche" (Röm 10,12). Heilsgeschichtlich muß allerdings ein Unterschied gemacht werden: Außer dem Überrest(94) ist das jüdische Volk gegenwärtig noch unter der Verstockung, d.h. dem Evangelium gegenüber verschlossen. Die Art der Errettung ist für Juden wie Heiden die gleiche, nämlich die Rechtfertigung des Gottlosen im Glauben allein. Die Zeit der Errettung bestimmt Paulus jedoch jeweils verschieden: Erst die Parusie wird Israel als Volksganzem die Errettung bringen, wohingegen die glaubenden Heiden schon jetzt zusammen mit dem gläubigen Überrest Israels Anteil am Heil haben.

5.3.4.2. Das Sendungsbewußtsein der Apostel gegenüber Israel

Jesus hatte seinen Jüngern geboten, seine Zeugen in Jerusalem, Judaä, Samaria und bis an das Ende der Erde zu sein (Apg 1,8). Bezeichnenderweise fängt diese Aufzählung mit Jerusalem an. Dementsprechend fing Petrus an Pfingsten an, dem jüdischen Volke in Jerusalem zu predigen (Apg 2). Er und die anderen Judenchristen "verkündigten das Wort niemandem als allein den Juden" (Apg 11,19).(95) Auch Paulus ging zuerst immer in die Synagoge,(96) und erst, wenn die Juden seine Botschaft nicht aufnahmen, sagte er: "Euch mußte das Wort Gottes zuerst gesagt werde; da ihr es aber von euch stoßt und haltet euch selbst nicht für würdig des ewigen Lebens, siehe, so wenden wir uns zu den Heiden" (Apg 13,46). Trotz des Wissens um die Zeitverschiebung des Heils für Israel (Röm 11,30-32) betete er für die Errettung Israels (Röm 10,1) und hoffte, durch seine Heidenmission seine "Stammverwandten zum Nacheifern reizen und einige von ihnen retten" zu können (Röm 11,14). Auch in seinen Briefen spricht Paulus immer wieder von der Hingabe an sein eigenes Volk: Er ist bereit, verflucht zu sein für das Volk Israel, wenn es nur Christus erkennen würde (Röm 9,1-5).

Sowohl Paulus wie auch die anderen Apostel besaßen also ein starkes Sendungsbewußtsein gegenüber dem jüdischen Volke, sie dienten dem Evangelium, das "den Juden zuerst" gilt (Röm 1,16).

5.4. Die Kirche aus Juden- und Heidenchristen

Eph 2,11ff. beschreibt die neue Beziehung, die in der Kirche Christi zwischen Juden und Heiden besteht: Indem die christusgläubigen Heiden durch ihren Glauben geheiligt sind, sind sie zum "heiligen Volk" (Ex 19,6) dazugestoßen als "Mitbürger der Heiligen" (Eph 2,19). Christus hat die beiden in seinem Leib versöhnt und aus beiden "einen neuen Menschen" (V.15) geschaffen, indem er die Mauer, die durch das Gesetz die Juden von den Heiden geschieden hatte, niedergerissen hat (V.14f.). Die Heidenchristen sind nun nicht mehr unrein, sondern gereinigt durch das Blut Christi. Vor Gott sind in Bezug auf die Rechtfertigung "weder Jude noch Grieche" (Gal 3,28).

Immer wieder betont Paulus die Freiheit der christusgläubigen Juden im Umgang mit der Tora. Sie sollten die Freiheit bewahren, die sie von den Heiden trennenden Gesetze nicht zu beachten (vgl. z.B. den Streit mit Petrus Gal 2,11ff.), sie sollten aber genauso die Freiheit besitzen, im Kontakt mit den Juden sich an die Tora zu halten (z.B. Apg 16,3).

Die messianischen Juden befinden sich mit der Bewahrung ihrer jüdischen Identität in der Tradition der Urgemeinde, wie sie uns im NT geschildert wird. Wo sie allerdings den Kontakt mit der übrigen Kirche aufgeben, verlassen sie den neutestamentlichen Boden, der die Einheit von Juden und Heiden in Christus betont. Genauso hat die Kirche des Mittelalters den neutestamentlichen Boden verlassen, als sie den christusgläubigen Juden ihre jüdische Identität verbot. Denn nach dem Neuen Testament ist Kirche Christi immer Kirche aus Heiden und Juden. Indem sich die Kirche von jeder Beziehung zum jüdischen Volke abschnitt, hat sie sich selbst entwurzelt (Röm 11). Und indem die Kirche die Judenchristen zwang, ihr Judentum abzulegen, richtete sie eine neue Mauer auf zwischen Heiden und Juden. M.E. rühren viele Fehlentwicklungen, die die Kirche seither durchgemacht hat, aus ebendieser Entwurzelung und Wiederaufrichtung der Mauer.

5.5. Zusammenfassung

Das Neue Testament macht unmißverständlich klar, daß die Rechtfertigung von Juden wie von Heiden alleine im Glauben an Jesus Christus, dem Messias Israels und Erlöser der Welt, erlangt werden kann. Diese Botschaft predigten die Apostel zuerst den Juden, dann auch den Heiden. Paulus hatte, obwohl er das Amt der Heidenmission innehatte, ein sehr starkes Sendungsbewußtsein gegenüber den Juden: Immer ging er zuerst in die Synagogen, um dort das Evangelium zu verkündigen. Von diesem Evangelium der Rechtfertigung aus Glauben an Christus kann und darf auch die Kirche niemandem gegenüber abweichen; sonst beraubt sie sich selbst ihrer Grundlage. Unsere Untersuchung des neutestamentlichen Zeugnisses spricht gegen eine Theologie, die den Juden einen anderen Heilsweg einräumt als diesen.

Diese Tatsache des persönlichen Heils des Einzelnen alleine in und durch Christus hebt aber nach dem neutestamentlichen Zeugnis die Geschichte Gottes - gerade die Geschichte, die Gott mit seinem Volk Israel schreibt, nicht auf. Das NT beschreibt eine Geschichte Gottes für die ganze Welt (Wiederkunft Christi, Auferstehung der Toten, Endgericht, neue Weltschöpfung) und eine Geschichte Israels (Verstockung Israels bis zu seiner Errettung als Volksganzes bei der Parusie). Durch ihren Unglauben dem Evangelium gegenüber hat ein Großteil Israels die Gerechtigkeit Gottes nicht erlangt. Dies liegt jedoch an der Verstockung durch Gott, einem Beiseitestellen des Großteils Israels für das Heil, damit das Evangelium von der Rechtfertigung aus Glauben zu den Heiden gelangen konnte. Dieses Beiseitestellen Israels heißt aber nicht, daß Gott "sein (!) Volk" verstoßen hat (Röm 11,1). Im Gegenteil, das NT als Ganzes, vor allem aber Röm 11, sprechen von "Israel" als ethnischem Volk mit einer ganz bestimmen Heilszukunft. An der von den messianischen Juden betonten bleibenden Erwählung Israels ist deshalb neutestamentlich unbedingt festzuhalten (Röm 11,29 u.a.). Das NT bestätigt die Israel verheißene geistliche Erneuerung (die durch die Sündenvergebung bewirkte Errettung ganz Israels mit nachfolgender Heilswirkung auf die ganze Welt in Röm 11,15.26f.). Weil das NT vom neuen Bund handelt, redet es über die Israel verheißene physische Erneuerung (Sammlung Israels und Friedensreich) nur in Andeutungen (Lk 21,24; Apg 1,6; Offb 20,4), negiert sie jedoch nicht und läßt dadurch die mögliche Erfüllung auch dieser Verheißungen theologisch offen. Diese von den messianischen Juden festgehaltene physische Wiederherstellung läßt sich aber auch durch die Tatsache legitimieren, daß der alte Bund für Israel durch Christi Kommen nicht aufgelöst ist, sondern zum neuen Bund hinführt und in diesem erfüllt wird.

Die geringe Betonung des apokalyptischen Elementes im NT soll unseren Blick jedoch auf das Heute und auf unsere Aufgabe richten: Jesus negiert die Frage der Jünger nach dem messianischen Reich für Israel nicht, richtet ihren Blick jedoch auf die Verkündigung des Evangeliums in Israel und in aller Welt (Apg 1,6-8). Auch Paulus relativiert das Jude-Sein und Nicht-Jude-Sein im Lichte der neuen Schöpfung, die in Christus geschieht (Gal 6,15). Die Beschäftigung mit der Heilsgeschichte darf deshalb nicht auf Kosten des Rechtfertigungsevangeliums geschehen, nicht zuletzt weil es gerade Röm 9-11, die "heilsgeschichtlichen" Kapitel des Neuen Testamentes, durchzieht. Umgekehrt warnt die neutestamentliche Botschaft durch ihre apokalyptischen Elemente jedoch auch vor einer Theologie, die keine Gnadenzukunft für Israel als Volk bekennt.

Die Kirche wird im NT als "Volk Gottes" bezeichnet, das am Heil Israels Anteil hat durch Jesus Christus (Röm 11,17f.;Eph 2,11ff.). Die Heidenchristen wurden als fremde Zweige auf den Ölbaum Israel eingepfropft. Nirgends im NT wird mit "Israel" die Kirche als eine das alte Bundesvolk Israel ersetzende Größe verstanden. Der Fehler der Kirche war es, neutestamentliche innerjüdische Kritik am Volke Israel von außen gegen das jüdische Volk zu richten, und nicht an der von Paulus im Römerbrief bekannten Erwählung Israels festzuhalten. Dementsprechend mußten die christusgläubigen Juden auch ihre jüdische Identität aufgeben und so auf einen heidenchristlichen Baum aufgepfropft werden.

Die anfängliche Kirche, wie sie uns das NT und die Kirchenväter beschreiben, bestand aus judenchristlichen, heidenchristlichen und gemischten Gemeinden. Die Judenchristen lebten weiterhin verbunden mit ihrem jüdischen Volk, nach der Sitte ihrer Väter. Dies ergab Probleme im Kontakt mit den Heidenchristen. Deshalb wurde auf dem Apostelkonzil (Apg 15) durch den Beschluß der Apostel dieser Kontakt ermöglicht: Die Heiden mußten sich der jüdischen Tora nicht unterziehen. Den Judenchristen wurde weder ge- noch verboten, sich nach dem jüdischen Gesetz zu richten.

Paulus warnt die Judenchristen davor, der Tora noch eine verbindliche Heilsfunktion zuzuschreiben oder sich durch sie von den Heiden trennen zu lassen (Gal 2,11ff.). Die Heidenchristen warnt er, sich nicht beschneiden zu lassen um des Heils willen, aber auch, sich aufgrund der eigenen Heilsteilhabe nicht stolz über Israel zu erheben. Vielmehr sollen sie Israel zur Eifersucht reizen (Röm 11,11), d.h. durch ihr Lebens- und Wortzeugnis und ihre Liebe zu den Juden diese auf den christlichen Glauben eifersüchtig machen, sodaß "einige von ihnen" errettet werden (V.14).


1. Vgl. O. HOFIUS, Das Evangelium und Israel, in: Ders., "Paulusstudien", S.177.

2. Eine Schwierigkeit im Verständnis von Röm 9-11 ergibt sich dadurch, daß Paulus das Wort "Israel" hier verschieden verwendet: Nach 9,6 wird die Zugehörigkeit zu Israel nicht durch die leibliche Abstammung, sondern durch die "Verheißung" Gottes bestimmt (V.8). In Kap. 11 spricht Paulus jedoch nicht nur dem gläubigen Überrest, sondern ganz Israel (bei der Parusie Christi V.26) das Heil zu, denn die Bezeichnung "Israel" bezieht sich in Kap. 11 auf das mehrheitlich verstockte Israel. S.a.S.64.

3. Vgl. P. STUHLMACHER, Der Brief an die Römer, S.152.

4. Vgl. F. MUSSNER, Die bösen Winzer nach Matthäus 21,33-46, in: W.P. ECKERT u.a. (Hrsg.), "Antijudaismus im Neuen Testament? Exegetische und systematische Beiträge", S.131.

5. Ebd., S.134. "Am-ha-arez" meint das gewöhnliche Volk.

6. Ebd., S.132.

7. Vgl. P. VIELHAUER, Geschichte der urchristlichen Literatur, S.432. Anders K. WENGST, Bedrängte Gemeinde und verherrlichter Christus, S.55ff.

8. Zu Gal 6,16 vgl. G. SCHRENK, Was bedeutet "Israel Gottes"?, Judaica 5 (1949), S. 87ff. Zu allen drei Stellen vgl. W. Gutbrot (Art. "", ThWNT 3, S.357-394): Zu Röm 9,6 schreibt Gutbrot: "Andererseits aber ist hier auch nicht von Heidenchristen die Rede, die das wahre Israel genannt würden" (ebd., S.390), und zu 1Kor 10,18: "Daß es sich dabei nicht eigentlich um eine Übertragung des Namens auf die neue Gemeinde unter Ausschluß der alten handeln kann, zeigt besonders deutlich das Bild vom Ölbaum R 11,17ff; Israel ist die eine Gottesgemeinde, in die nun Leute aus den Heiden eingepflanzt werden" (ebd.). Zu Gal 6,16 gibt er an, es handle sich hier um eine polemische Stelle gegenüber Judenchristen, die Heidenchristen die Beschneidung aufzwingen wollen (vgl. ebd., S.391). Er faßt zusammen: "Außer dieser polemischen Stelle und jener Stelle von 1 K 10,18 erscheint bei Pls [Paulus] nicht zur Bezeichnung der neuen Gottesgemeinde, da Pls, wie eben etwa R 9-11 zeigt, diesen Namen doch nicht eigentlich trennen wollte und konnte von denen, die auch

blutmäßig zu Israel gehören" (ebd.).

9. M. SIMON, Art.: "Israel im NT und in der Alten Kirche", in: RGG3 3, Sp.946. Vgl. auch J. VERKUYL, Contemporary Missiology, S.121: "The people of God now has a twofold form: the Old Testament people of Israel and the New Testament people gathered from all nations".

10. Vgl. z.B. 2Kor 11,24; Apg 17,5.

11. P. STUHLMACHER, Der Brief an die Römer, S.163.

12. Ebd., S.164.

13. Ebd., S.165.

14. Ebd.

15. H. HÜBNER, Art. Israel III. Neues Testament, TRE 16 (1987), S.385.

16. O. HOFIUS, Das Evangelium und Israel, in: Ders., "Paulusstudien", S.189.

17. Vgl. R. BULTMANN, Theologie des Neuen Testaments, S.99.

18. Cullmanns Ansatz läßt sich etwa so beschreiben (vgl. Walter KRECK, Die Zukunft des Gekommenen, S.25-28): Gott offenbart sich auf einer geraden Linie, die von der Schöpfung bis zur Parusie läuft. Ihren Höhepunkt hat sie im Tod und der Auferstehung Jesu Christi. Auf diesen Punkt läuft die Linie zu und von ihm geht sie aus. Christus bedeutet nicht das Ende der Zeit, es ist jedoch mit ihm eine neue Zeiteinteilung gekommen. Denn Christus als die Mitte der Zeit hat das Vergangene erfüllt und das Zukünftige schon vorweggenommen. Dennoch bleibt aber die Erwartung sowohl seines Kommens als auch der Verwandlung der sarx durch das pneuma. Cullmann versteht also alles von der Mitte her, aber "als eine kontinuierliche Linie" (W. KRECK, ebd., S.26). Die Erwählung Israels bleibt nach Cullmann im NT bestehen, und der "Plan Gottes komme dadurch zum Ziel, daß die Heidenchristen und Israel das ganze Israel von Röm 11,26 bilden" (O. BETZ, Die heilsgeschichtliche Rolle Israels bei Paulus, in: ThBeitr 9 (1978), S.9).

19. E. KÄSEMANN, Paulinische Perspektiven, Tübingen 1969, S.116f.134. Zit. in: O. BETZ, Die heilsgeschichtliche Rolle Israels bei Paulus, in: ThBeitr 9 (1978), S.9.

20. Vgl. O. BETZ, Die heilsgeschichtliche Rolle Israels bei Paulus, S.10.

21. Vgl. ebd.

22. P. STUHLMACHER, Erwägungen zum Problem von Gegenwart und Zukunft in der paulinischen Eschatologie, ZThK 64 (1967), S.423-450.

23. Vgl. Anm. 265.

24. Vgl. z.B. Jes 11,11; 43,5.6; Hes 39,28.

25. Die Übersetzung ist von mir.

26. Vgl. O. HOFIUS, Das Gesetz des Mose und das Gesetz Christi, in: ZThK 80 (1983), S.272f.: Hofius versteht unter der die Sinai-Tora. Unter (V.6) versteht er nicht "neuer Bund", sondern das Evangelium.

27. Vgl. hierzu L. GOPPELT, Art. Bund III. Im NT, in: RGG3 1, Sp.518: "Er [der alte Bund] ist nicht einfach chronologisch vergangen [...], er besteht weiter, wie die Verheißung und das Gesetz weiter bestehen, aber er ist nach Hebr 8,13 'veraltet' und (mit der alten Weltzeit) 'nahe am Verschwinden'."

28. S.u.S.74.

29. Vgl. J. GUHRT, Art. "Bund", in: TBLNT 1, S.160.

30. S.u.S.88.

31. E. Käsemann, An die Römer, S.301.

32. Hierzu schreibt Stuhlmacher: "Für Paulus und nach seinem Evangelium von der Rechtfertigung bleibt Gottes an Israel ergangenes Wort der Verheißung in Kraft!" (P. STUHLMACHER, Der Brief an die Römer, S.133f.).

33. Die Übersetzung ist von mir.

34. Vgl. z.B. O. HOFIUS, Das Evangelium und Israel, in: Ders., "Paulusstudien", S.191 sowie P. STUHLMACHER, Der Brief an die Römer, S.154.

35. N. LOHFINK, Das Jüdische am Christentum, S.66.

36. Ebd., S.67.

37. Z.B. E. KÄSEMANN, An die Römer, S.301 und O. MICHEL, Der Brief an die Römer, S.355.

38. Vgl. zu Mt 8,11 J. JEREMIAS, Jesu Verheißung für die Völker, Franz Delitzsch-Vorlesungen 1953, Stuttgart 1956, S.47-62.

39. O. BETZ, Die heilsgeschichtliche Rolle Israels bei Paulus, in: ThBeitr 9 (1978), S.19.

40. Vgl. O. HOFIUS, Rechtfertigung des Gottlosen als Thema biblischer Theologie, in: Ders., "Paulusstudien", S.129ff.

41. O. HOFIUS, Das Evangelium und Israel, in: Ders., "Paulusstudien", S.196.

42. O. MICHEL, Der Brief an die Römer, S.355. U. Wilkens vergleicht Röm 11,26 mit Sanh 10,1 und 4Esr 4,35f., wo es auch "nicht auf numerische Vollständigkeit, sondern auf die Erfüllung der Bestimmung Gottes" ankomme (U. WILKENS, Der Brief an die Römer (Röm 6-11), S.256). So folgt auf Sanh 10,1 ("Ganz Israel hat Anteil an der zukünftigen Welt") eine Auflistung der Ausnahmen, die keinen Anteil am zukünftigen Heil haben.

43. Vgl. O. HOFIUS, Das Evangelium und Israel, in: Ders., "Paulusstudien", S.196.

44. Für ein heutiges Beispiel vgl. E. LUBAHN, Judenmission in heilsgeschichtlicher Sicht, in: H. KREMERS - E. LUBAHN (Hrsg.), "Mission an Israel in heilsgeschichtlicher Sicht", S.92-103.

45. J.v. OORSCHOT, Hoffnung für Israel, S.34. So auch G. SCHRENK, Die Weissagung über Israel im Neuen Testament, S.37: "Es liegt ihm [Paulus] gar nichts an einer eschatologischen Vorzugsstellung Israels im Sinne seiner geistlichen Mittlerschaft unter den Völkern, noch viel weniger natürlich an seiner nationalen, politischen Wiederherstellung."

46. Abraham ist einer der Väter.

47. Die Übersetzung ist von mir.

48. Vgl. z.B. U. WILCKENS, Der Brief an die Römer (Röm 6-11), S.245 und O.BETZ, Die heilsgeschichtliche Rolle Israels bei Paulus, in: Ders., "Jesus - Der Herr der Kirche. Aufsätze zur biblischen Theologie II.", S.335. Die rabbinische Auslegungsmethode qal-wachomer gebraucht Paulus häufig, vgl. z.B. Gal 3,15-18. Zur qal-wachomer-Regel vgl. H.L. STRACK - G. STEMBERGER, Einleitung in Talmud und Midrash, S.28.

49. U. WILCKENS, ebd., S.245.

50. P. STUHLMACHER, Der Brief an die Römer, S.152.

51. D. ZELLER, Juden und Heiden in der Mission des Paulus, S.243.

52. O. BETZ, Die heilsgeschichtliche Rolle Israels bei Paulus, in: Ders., "Jesus - Der Herr der Kirche. Aufsätze zur biblischen Theologie II.", S.154: "Hat Israels passive Haltung, die Verwerfung des Evangeliums, der Welt bereits die Versöhnung gebracht (V.15), so muß seine Annahme den missionarischen Dienst der Versöhnung, d.h. die apostolische Ausrichtung des Wortes der Versöhnung meinen (vgl. 2.Kor 5,18f.)" (Herv. O.B.).

53. Vgl. J.v. OORSCHOT, Hoffnung für Israel, S.34.

54. Ich werde die Landfrage in Kap. 5.2.6.3. weiter behandeln (s.u.S.78).

55. Vgl. Röm 11,25, wo Paulus als Grund für die Preisgabe des Geheimnisses angibt: "damit ihr euch nicht selbst für klug haltet". Vgl. a. Röm 11,18.

56. Vgl. a. E. Schlinks Ausführungen über die Endzeit in seiner Ökumenischen Dogmatik (ebd., S.709ff.): Schlink sieht die Erwartung der endzeitlichen "Bekehrung der Juden" in Röm 11,25bf. begründet. Aber auch Schlink gibt an: "Über das Wie dieses endgeschichtlichen Vorgangs der Errettung ist hier nichts gesagt" (ebd., S.711).

57. Vgl. E.E. ELLIS (Ed.), The Gospel of Luke, S.245: "The period may extend to the parousia. But it is also possible that [...] a future repossession by the Jews is anticipated". Herv. E.E. Vgl. auch H.L. BOLES, The Gospel according to Luke, S.400. G. Schrenk deutet das "bis" auf die Parusie (ders., Die Weissagung über Israel im Neuen Testament, S.16).

58. W. WIEFEL, Das Evangelium nach Lukas, S.266.

59. A. SCHLATTER, Erläuterungen zum Neuen Testament, 1.Bd.: Die Evangelien und die Apostelgeschichte, S.5f. (in dem Kap. über die Apg.).

60. Vgl. z.B. R. PESCH, Die Apostelgeschichte. 1. Teilband (Apg 1-12), S.71.

61. So versteht z.B. G. Schiller die Sammlung Israels als die "Entstehung der Kirche". Vgl. G. SCHILLER: Die Apostelgeschichte des Lukas, S.71.

62. W. WIRTH, Die Bedeutung der biblischen Landverheißung für die Christen, in: W.P. ECKERT u.a. (Hrsg.), "Jüdisches Volk - gelobtes Land", S.314f.

63. Vgl. ebd., S.312.

64. Vgl. Israel und die Kirche. Eine Studie, im Auftrag der Generalsynode der Niederländischen Reformierten Kirche zusammengestellt von dem Rat für das Verhältnis zwischen Kirche und Israel, S.62.

65. Vgl.a. das Wort zur Judenfrage vom April 1950 der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland, welches formuliert: "Wir glauben, daß Gottes Verheißung über dem von ihm erwählten Volk Israel auch nach der Kreuzigung Jesu in Kraft geblieben ist." In: R. RENDTORFF - H.H. HENRIX (Hrsg.), Die Kirche und das Judentum. Dokumente von 1945-1985, S.549.

66. H.W. BEYER, Der Brief an die Galather, in: Ders., "Die kleinen Briefe des Apostels Paulus", S.31 (Herv. von mir).

67. "µ [...] µ µ" (Die Übersetzung ist von mir).

68. Hierzu ist hinzuzufügen, daß sich die Judenchristen des Neuen Testaments nicht selbst als "Christen" bezeichneten. Dieser Name wurde ihnen von Außenstehenden gegeben, zum ersten Mal in Antiochien (Apg 11,26).

69. Der "usus elenchticus" oder "usus theologicus" bezeichnet die den Menschen anklagende und darin auf das Evangelium verweisende Funktion des Gesetzes. Die Lehre vom "dreifachen Brauch" des Gesetzes entstand in der altprotestantischen Orthodoxie: Die drei Funktionen des Gesetzes sind die zivile Rechtsordnung, die Anklage des Sünders und die Wegweisung für den Christen. Luther schon hatte die Lehre eines zweifachen Gebrauchs des Gesetzes entfaltet. Vgl. JOEST, W.: Dogmatik. Band 2: "Der Weg Gottes mit dem Menschen", S.494.

70. P. STUHLMACHER, Das Gesetz als Thema biblischer Theologie, in: Ders., "Versöhnung, Gesetz und Gerechtigkeit", S.263. Vgl. Mk 7.

71. Vgl. die Targume zu 1Mo 4,7.

72. O. HOFIUS, Das Gesetz des Mose und das Gesetz Christi, ZThK 80 (1983), S.262 Anm.2.

73. S. P. STUHLMACHER, Das Gesetz als Thema biblischer Theologie, in: Ders., "Versöhnung, Gesetz und Gerechtigkeit", S.136-165.

74. Vgl. Jes 2,2-4; Mi 4,1-4; Jes 25,7-9; Jer 31,31ff; Ez 20; 36,22-28; 40-48: Hier wird, so Stuhlmacher, die Transformation der Mosetora in die eschatologische Zionstora vorausgesagt, die nach Jesaja und Micha auch für die Völker gilt. Vgl. P. STUHLMACHER, ebd., S.257f.

75. P. STUHLMACHER, ebd., S.264.

76. Vgl. O. HOFIUS, Das Gesetz des Mose und das Gesetz Christi, ZThK 80 (1983), S.262-286.

77. Die wegweisende Funktion des Gesetzes, durch die der Christ für seinen christlichen Lebenswandel gelehrt wird.

78. O. BETZ, Art. "Gesetz", in: Das große Bibellexikon 1, S.457.

79. O. BETZ, Der fleischliche Mensch und das geistliche Gesetz, in: Ders., "Jesus, Herr der Kirche", S.195f.

80. In den folgenden Ausführungen halte ich mich v.a. an das Verständnis von O. Betz. Vgl. O. BETZ, Der fleischliche Mensch und das geistliche Gesetz, in: Ders., "Jesus, Herr der Kirche", S.129-197 und ders., Art. "Gesetz", in: Das große Bibellexikon 1, S.452-459.

81. O. BETZ, Art. "Gesetz", in: Das große Bibellexikon 1, S.459.

82. O. BETZ, Der fleischliche Mensch und das geistliche Gesetz, in: Ders., "Jesus, Herr der Kirche", S.183.

83. Vgl. O. BETZ, Der Alte und der Neue Bund, in: H. KREMERS - E. LUBAHN (Hrsg.), "Mission an Israel in heilsgeschichtlicher Sicht", S.31.

84. Vgl. K. KJAER-HANSEN - O. KVARME, Messianische Juden, S.24.

85. Vgl. seinen Streit mit Petrus in Gal 2,11ff.

86. O. BAUERNFEIND, Art. "Gesetz", in: RGG3 3, Sp.1519.

87. Vgl. O. BETZ, Israels Mission an der Welt - unsere Mission an Israel, in: H. KREMERS - E. LUBAHN (Hrsg.), "Mission an Israel in heilsgeschichtlicher Sicht", S.30: "Paulus kannte keine neue Tora, die die alte ersetzt hätte. Vielmer wird das Verhältnis zwischen Gottes Weisung und dem Menschen neu."

88. S.S. 34.

89. Vgl. z.B. die Diskussion um die "Two Covenant Theology" in Miskan 11 (1989), S.9-70.

90. R. PESCH, Die Apostelgeschichte, Teilbd. 1 (Apg 1-12), S.167.

91. P. STUHLMACHER, Der Brief an die Römer, S.157f.

92. O. HOFIUS, Das Evangelium und Israel, in: Ders., "Paulusstudien", S.197. Ebd.: "'Ganz Israel' kommt so zwar anders zum Heil als die Heidenchristen und der jetzt schon an Christus glaubende 'Rest', - nämlich nicht aufgrund der Missionspredigt der Kirche, sondern ganz unmittelbar durch den Kyrios selbst. Aber es kommt eben damit gerade nicht ohne Christus, nicht ohne das Evangelium und nicht ohne den Glauben an Christus zum Heil" (Herv. O.H.).

93. Petrus sagt dort vor der Apostelversammlung: "Vielmehr glauben wir, durch die Gnade unseres Herrn Jesus selig zu werden, ebenso wie auch sie [die Heiden]".

94. D.h. der Teil des jüdischen Volkes, der an Jesus Christus glaubt. Vgl. Röm 11,1-7.

95. Zumindest bis Gott die Mission auch auf die Heiden ausweitete (Apg 10).

96. Vgl. Apg 13,5.14; 14,1; 17,2.10; 18,4; 19,8.



Auszug aus: Hornung, A., "Messianische Juden zwischen Kirche und Volk Israel. Die Begründung und Entwicklung ihres Selbstverständnisses", © Brunnen-Verlag Gießen 1995 (vergriffen).
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