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 Wie Sartre und Stalin

 Linksliberale Kommentatoren sind blind für Arafats Verbrechen ­

 eine Polemik ­ Debatte
 
 Von Avi Davis
 
 Das Bild, das sich in Jerusalem und anderen Städten Israels bietet, ist
 allzu vertraut. Blutgetränkte Straßen, verstümmelte Leiber, unsägliches
 Leid für Dutzende von Familien. Und doch dürfen die Opfer dieser
 Verbrechen nicht wirklich Opfer sein. Stattdessen stellen sie nach Meinung
 der westlichen Medien austauschbare Posten in einem Spiel der
 Wechselseitigkeit dar, das sie zynischerweise "Teufelskreis der Gewalt"
 nennen. Die Augen vor dem wahren Charakter des Bösen zu verschließen ist
 ganz sicher nichts Neues. Im Gegenteil, es ist Ausdruck jener Art des
 Leugnens, die Jean Paul Sartre, Autor des klassischen Romans des
 Existenzialismus, "La mort dans l'ame" ("Der Pfahl im Fleische") zur Kunst
 erhoben hat. Als Sartre und seine Gefährtin Simone de Beauvoir mit den
 grausamen Fakten des Stalinschen Terrors konfrontiert wurden, waren sie
 hartgesottene Verfechter des kommunistischen Regimes und blieben es auch
 so lange, bis die überwältigenden Beweise drohten, ihren Ruf als
 Freiheitskämpfer ad absurdum zu führen. Dennoch verschwanden bei den
 Intellektuellen Revisionismus und Leugnung nicht mit Sartre und Beauvoir
 von der Bildfläche. Sie leben in unzähligen akademischen und linken
 Reinkarnationen weiter. Und das nirgendwo mehr als in der Art und Weise,
 wie die Gemeinschaft der linken Intelligenz den arabisch­israelischen
 Konflikt einschätzt. Mit jedem palästinensischen Terrorakt verschließen
 dieselben Intellektuellen, die sich scheinbar so sehr den Werten des
 Friedens verschrieben haben, die Augen vor der Tatsache, dass sie diesen
 Mördern mit ihren verständnisvollen Formulierungen und schnoddrigen
 Rechtfertigungen Schützenhilfe leisten. Man braucht nur die neuesten
 Einschätzungen des Camp­David­Gipfels zu lesen, verfasst von Autoren wie
 Deborah Sontag ("New York Times"), Robert Mally ("New York Review of
 Books") und Yossi Beilin ("Ha'aretz"), um zu der Überzeugung zu kommen,
 dass die linken Intellektuellen ihren Claim auf demselben moralischen
 Morast ihrer Vorgänger abgesteckt haben. Inzwischen ist es durchaus
 möglich, dass uns die Nahost­Kommentare im "Economist", in "Le Monde", der
 "New York Times" und im "Ha'aretz" ähnlich fassungslos machen wie einst
 die Schmierereien der Boulevardpresse. Denn hier wird allen Ernstes
 behauptet, Jassir Arafats Rückkehr zu Terror und Gewalt sei eine
 natürliche Folge des Mangels an israelischer Flexibilität in Camp David
 gewesen und sollte sogar entschuldigt werden. Da erfahren wir von einem
 Berater des Präsidenten, Clinton und Barak hätten Arafat in Camp David
 hereingelegt, und Baraks beispielloses Zugeständnis von 95 Prozent der
 West Bank, zusammen mit einem Großteil Ost­Jerusalems, sei kein ehrliches
 Angebot gewesen. Da haben wir einen führenden israelischen Politiker, der
 uns erzählt, seine Verhandlungen mit den Palästinensern in Taba im Januar,
 als Israelis auf den Straßen von palästinensischen Heckenschützen ermordet
 wurden, seien der Auftakt zu einem historischen Friedensvertrag gewesen.
 Dies trotz aller Beweise, die nun ans Tageslicht gekommen sind, dass
 Arafat und seine Gefolgsleute die Intifada sogar bereits während der
 Gespräche in Camp David geplant haben könnten, und obwohl sich Arafats
 Delegation beim Gipfel nicht die Mühe machte, auch nur einen einzigen
 Gegenvorschlag zu unterbreiten, und trotz des unnachgiebigen
 palästinensischen Beharrens auf dem Rückkehrrecht von drei Millionen
 Flüchtlingen, was einen offenen Vertragsbruch darstellt, den keine
 israelische Regierung, nicht einmal eine ultralinke, je akzeptieren
 könnte. Der britische Historiker Paul Johnson hat in einer vernichtenden
 Studie über namhafte Intellektuelle nachgewiesen, dass sich manche
 Mitglieder der Intelligenz, deren Hauptanliegen die Selbstdarstellung ist,
 Meinungen zulegen, die sowohl gegen die Logik als auch die eigenen
 Prinzipien verstoßen, um ihre Karriere voranzutreiben. Aber für das Ausmaß
 an Verdrängung, das erforderlich ist, um sein Gewissen so gründlich zu
 begraben, braucht es noch mehr. Die ungerührte Art, mit welcher die
 Apologeten Hitlers und Stalins ­ in ihrer eigenen Heimat alle
 herausragende Denker, Verfechter und Kämpfer in Sachen Freiheit ­ die sich
 mehrenden Beweise über Konzentrationslager und Zwangsarbeiterkolonnen zur
 Kenntnis nahmen, ist eines der krassesten Beispiele moralischer Blindheit.
 Die Apologeten Arafats haben diese Form des Leugnens auf eine neue
 Akzeptanzebene gehoben. Es ist schon wirklich erstaunlich, wie die
 Kommentatoren, denen anschaulicheres Nachrichtenmaterial zur Verfügung
 steht, entschuldigen, dass Arafat auf Selbstmordattentate zurückgreift und
 trotz seiner Beteuerungen die anhaltende Hetze und den Antisemitismus in
 den palästinensischen Medien duldet.
 
 Dient nun solche Selbsttäuschung der Förderung der eigenen Karriere, oder
 ist es schlichte Herzlosigkeit? Angesichts des offenbaren Schwenks der
 amerikanischen Politik hin zur Neutralität und stillschweigenden Billigung
 Arafats, sollten wir die Mahnung des amerikanischen Literaturkritikers
 Lionel Trilling bedenken, dass, "was unter Intellektuellen als
 Fehleinschätzung beginnt, seine Erfüllung in der Politik und im Handeln
 erlebt". Es wird Zeit für all jene Intellektuellen, die Arafat immer noch
 für einen würdigen oder auch nur möglichen Friedenspartner halten, ihre
 Seele nach einem "Pfahl im Fleische" abzusuchen.
 
Tageszeitung "Die Welt" vom 23.08.01
 © Los Angeles Times Übersetzung: Ruth Keen
 Avi Davis lebt als Anwalt und Autor in Los Angeles. Er ist Senior Fellow
 des Freeman Center for Strategic Studies in Houston.

Quelle: http://www.welt.de/daten/2001/08/23/0823fo276800.htx?print=1

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