Pressespiegel Pressespiegel

Kommentar von Spiegel-Herausgeber Augstein in Spiegel 51/2001

Kommentar zum Augstein-Artikel von netzeitung.de und Brief von Botschafter Stein an Augstein

RUDOLF AUGSTEIN

Arafat kennt Tunis bereits

Ariel Scharon will den Krieg, daran hat er nun keinen Zweifel mehr gelassen. Zwei Jahrzehnte Friedensbemühungen hat er beiseite gewischt. In Jassir Arafat sieht er den Hauptschuldigen dafür, dass er 1982 aus dem Libanon zurückweichen musste. Den Libanon wollte Scharon zu einem israelischen Protektorat machen. Ein Protektorat über Palästina würde er sich auch heute zurechtzimmern, wenn man ihn nur ließe.
In Frankreich darf man das sagen, in Deutschland offenbar nicht. Die französische Tageszeitung "Le Monde" am vorigen Freitag: "Scharon will Arafat heute keine andere Wahl lassen, als ein faktisches Protektorat anzuerkennen, in dem die palästinensischen Sicherheitskräfte in Hilfskräfte der israelischen Armee und Polizei verwandelt würden."
Denn für den Terror macht der israelische Premierminister Scharon Jassir Arafat persönlich verantwortlich. Nun hält er ihn gefangen und wartet auf sein politisches Ende.
In der Geschichte hat es unter anderen Vorzeichen ähnliche Vorgänge gegeben. Nachdem Hitler seinen Teufelspakt mit Stalin geschlossen hatte, erwartete er mit äußerster Ungeduld den Sturz der Regierung Chamberlain. Das Auswärtige Amt hatte höchste Mühe, ihm klar zu machen, dass nur ein schlimmerer Feind, Winston Churchill, an dessen Stelle treten würde.
So würde ein Wegfall Arafats mit Sicherheit radikalere Nachfolger an die Palästinenser-Spitze bringen.
Bis zum Sechstagekrieg von 1967 war der gesamte Westen ausgesprochen Israel-freundlich. Damals war als Gast beim israelischen Generalstab unter General Jizchak Rabin ein SPIEGEL-Reporter.
Der berichtete, man erwarte keinen zu langen, sondern einen kurzen Krieg, damit die Großmächte nicht wieder eingriffen wie 1956 während des Suez-Abenteuers. Es wurde aus heutiger Sicht ein Krieg - kurz genug -, um die einzige reale Friedenschance auszuhandeln.
Seitdem sind die Palästinenser fortlaufend gedemütigt worden, bis hin zum heutigen aussichtslosen Stand der Dinge: Arafat wurde in Ramallah eingeschlossen und durch den Einsatz von Panzern entmündigt. Die Mehrheit der Israelis dürfte dabei hinter dem Premierminister Scharon stehen.
Es sieht gerade so aus, als wolle Israel den gewählten Palästinenser-Präsidenten Arafat in ein anderes Land zwingen, Tunis kennt er ja bereits.
Arafat stand immer unter Zwang und hatte kaum Gelegenheit, schwer wiegende Fehler zu machen, was deutsche Zeitungen meist anders sehen.
Einen überaus schlechten Dienst, so schreibt die französische "Libération", erweise Scharon seinem Land, wenn er die Palästinenser mit Waffengewalt zu überzeugen versuche, dass sie sich auch in einem Protektorat unter Israels Führung wohl fühlen könnten.
Das wischt die gesamte bisherige Echternacher Springprozession vom Tisch. Es kann unter Scharon nicht mehr verhandelt werden. Die Amerikaner leisten noch Lippenbekenntnisse für den Palästinenser-Präsidenten, sind aber aus inneren Gründen unfähig, Scharon die Stirn zu bieten.
Gemäß der Erklärung des britischen Außenministers Balfour von 1917, auch nicht uneigennützig abgegeben, sollte den Juden in Palästina eine Heimstatt geschaffen werden. Jetzt wird eine sichere staatliche Heimstatt für die zum Teil vertriebenen Palästinenser gesucht.
Aber gemach: Laut "Welt" sind die Brücken zwischen Israel und Palästinensern noch nicht ganz abgebrochen, solange die Palästinenser weiterhin mit Strom und Wasser von Israel beliefert werden. Heitere Aussichten.
1917 zählte Jerusalem 20 000 Einwohner. Die Türken wollten sie nach dem Vorbild der von ihnen "umgesiedelten" Armenier aus der Stadt vertreiben. Das hat der deutsche General Erich von Falkenhayn, damals Befehlshaber vor Ort, verhindert, nicht unbedingt aus Philosemitismus. Er hasste jede Unordnung in seinem Befehlsbereich.
So konnte denn der siegreiche und später von einem jüdischen Terroristen ermordete General Rabin als erster führender Israeli 30 Tage vor seinem Tod die schlichte Wahrheit aussprechen: "Wir kamen nicht in ein leeres Land."
(c) Spiegel
Augstein vergleicht Scharon mit Hitler.

16. Dez 2001 00:16


In einem Kommentar zum Nahost-Konflikt ignoriert der «Spiegel»-Gründer Rudolf Augstein den Terror radikaler Palästinenser gegen die Juden und versteigt sich zu einem unzulässigen Vergleich.

Von Michael Maier

Rudolf Augstein, Gründer und Herausgeber des «Spiegel», hatte immer schon ein gespanntes Verhältnis zu jüdischen Themen.

Die Tätigkeit hochrangiger Nazis in Führungspositionen des «Spiegel» während der Nachkriegszeit ist bekannt und wurde von Augstein weder bestritten noch als problematisch anerkannt. Eine «Aufarbeitung» der eigenen Vergangenheit hat es im «Spiegel» nie gegeben. Im selben Maß, in dem das Nachrichtenmagazin Aufklärung bei anderen gefordert hat, hat es im eigenen Bereich versagt.

Das hat Folgen. Im aktuellen Heft vergleicht Augstein den israelischen Premier Ariel Scharon mit Hitler. Er wirft Scharon vor, Arafat zu isolieren und auf das Ende des Palästinenserpräsidenten zu warten. Dasselbe hätte auch Hitler getan, als er den Sturz Chamberlains herbeigesehnt hätte. Augstein: «Nachdem Hitler seinen Teufelspakt mit Stalin geschlossen hatte, erwartete er mit äußerster Ungeduld den Sturz der Regierung Chamberlain.» Erst Hitlers Berater hätten den Diktator darauf aufmerksam gemacht, dass mit Churchill kein Besserer nachkommen würde.

Zwar erweist sich dieser Vergleich schon bei oberflächlichem Nachdenken als Unsinn. Augstein schreibt, dass, analog zu Churchill auf Chamberlain, nur noch radikalere Palästinenser auf Arafat folgen würden. War Churchill eigentlich ein Terrorist? Wer ist der Stalin im Nahen Osten? Ist es nicht so, dass die Juden längst völlig auf sich gestellt, alleingelassen sind? Aber darum geht es nicht.

Augstein beruft sich in seiner Kritik auf aus dem Zusammenhang gerissene Stellungnahmen französischer Medien und bringt es dabei fertig, in seiner ganzen Analyse die grauenvollen Terrorangriffe auf israelische Jugendliche und Kinder in Tel Aviv und Jerusalem vollständig zu ignorieren. Augstein verschweigt die Tatsache, dass die israelische Regierung lange und mehrfach gezögert hat, auf die immer schlimmer werdenden Attentate gegen die eigene Zivilbevölkerung zu reagieren.

Die Demütigung der Palästinenser ist eine Katastrophe. Aber die Ursache für die Eskalation im Nahen Osten einseitig den Juden zuzuschreiben – das erinnert an die DDR-Propaganda gegen die «Zionisten». Der DDR-Meinungstotalitarismus war nichts anders als die Fortsetzung der Nazi-Propaganda in Rot. Augsteins Vereinfachungen sind in diesem Kontext zu lesen.

Nur folgerichtig ist der einzige Terror, der in Augsteins Text vorkommt, der von einem «jüdischen Terroristen» verübte Mord an Jitzak Rabin. Der Text schürt, wenn man ihn genau analysiert, einen latenten Antisemitismus. Jüdische Politiker – wie sehr man auch ihre Politik ablehnen mag! – mit Hitler zu vergleichen, war bisher das Privileg radikaler arabischer Zeitungen. Aus deutscher Sicht sollte man davon die Finger lassen. Es ist zu platt um wahr zu sein.
(c) netzeitung.de


 

  Offener Brief des israelischen Botschafters Stein an Augstein
  18.12.01 Der israelische Botschafter Stein schrieb einen offenen Brief an Spiegel-Herausgeber Augstein: (im Wortlaut) "Sehr geehrter Herr Augstein,
eine Insinuierung, historische Analogie oder ein annähernder Vergleich zwischen dem Premierminister des jüdischen Staates und der Unperson, die dieses Volk vernichten wollte, ist – ganz unabhängig von vielen anderen Behauptungen in Ihrem Kommentar «Arafat kennt Tunis bereits», die ich zurückweisen möchte – eine Beleidigung für jeden Holocaust-Überlebenden und für das gesamte jüdische Volk. Ich bin überzeugt, dass die Leser Ihren unzulässigen Versuch klar ablehnen werden. Berlin, den 17. Dezember 2001, Shimon Stein, Botschafter des Staates Israel in Berlin"
Quelle: netzeitung.de

Pressespiegel