Pressespiegel

Arafat und die Weihnachtsmesse

Trotz Appellen aus aller Welt hielt der israelische Premierminister an der Entscheidung fest, Arafat an Heiligabend nicht aus dem umlagerten Ramallah zur Christmesse in Bethlehem reisen zu lassen. Weder Eingaben des Vatikans noch sanfter Druck seitens der USA und der EU konnten ihn zu einer Revision des Kabinettsbeschlusses bewegen, den sogar einige rechte Minister ein "Eigentor" nannten. Selbst Israels Staatspräsident Mosche Katzav und Oberrabbiner Meir Lau vermochten Scharon nicht umzustimmen. Der traditionelle Ehrensitz für Arafat in der Bethlehemer Katharinenkirche blieb leer: Über den Stuhl wurde eine Keffiye - die palästinensische Kopfbedeckung - gelegt.

Entsprechend düster war die Stimmung auf dem Platz vor der Geburtskirche, wohin Arafat (selbst Muslim) telefonisch seine bittere Weihnachtsbotschaft übermittelte: "Die israelischen Panzer, die Barrikaden und Waffen der Unterdrükung haben mich daran gehindert, das jährliche Fest mit euch zu verbringen." Dass der PLO-Chef sein Versprechen, "notfalls zu Fuß" nach Bethlehem zu kommen, nicht einhalten konnte, wurde nicht ihm als Schwäche, sondern als Arroganz Israels ausgelegt. Auch die Gewaltkurve verzeichnete einen leichten Anstieg. Bei aller Kritik an Sharons "Unnachgiebigkeit" sollte man in diesem Zusammenhang einige Fakten näher beleuchten.

Arafats beharren, notfalls "auch zu Fuß" zur Mitternachtsmesse gehen zu wollen, spiegelt keinesfalls eine neuentdeckte Liebe zum Christentum wieder. Auch ist es kein Indiz für ein gutes Verhältnis zwischen Muslimen und Christen in den Palästinensischen Autonomiegebieten (PA), in denen heute nur noch etwa 7% der Bevölkerung christlichen Glaubens ist. Ganz im Gegenteil! Die palästinensischen Christen in den PA-Gebieten sind einem enormen Druck ausgesetzt. Dies war erst kürzlich wieder bei den Gefechten zwischen Palästinensern in Bethlehem und israelischen Truppen im benachbarten Jerusalemer Stadtteil Gilo zu beobachten. Auf dem Höhepunkt der Gefechte wurden die Christen von Bethlehem besonders stark in Mitleidenschaft gezogen: muslimische Mitglieder der Tanzim-Miliz (Fatah) verschanzten sich in unmittelbarer Nähe zu wichtigen christlichen Institutionen und Gebäuden, um israelische Stellungen von dort aus unter Beschuss zu nehmen (zum Beispiel vom Stadtteil Beit Jala aus). Teilweise wurde auch von Kirchentürmen aus gefeuert. Den Christen war sofort klar, dass auch nur die kleinste israelische Antwort auf die Angriffe erheblichen Schaden an christlichen Einrichtungen und Wohnhäusern hervorrufen könnte. Die Vermutung liegt nahe, dass solche Vorkommnisse von palästinensischer Seite bewußt in Kauf genommen werden, in der Hoffnung, eine scharfe Reaktion in der internationalen christlichen Öffentlichkeit zu provozieren.

Ein Bewohner von Beit Jala äußerte kürzlich gegenüber ausländischen Journalisten: "Früher einmal waren mehr als 50% der Einwohner Bethlehems Christen. Heute stellen wir vielleicht noch 20% der Bevölkerung. Jeder der konnte, ist gegangen."

Aus Angst um die eigene Sicherheit, möchten Sprecher der christlichen Gemeinschaft nicht namentlich genannt werden, wenn sie sich über das Verhalten ihrer muslimischen Mitbürger beklagen. Hinter den Kameras berichten sie von "Belästigungen und terroristischen Taktiken" gegen die christliche Bevölkerung. So sollen Banden christliches Eigentum plündern, und Brandstiftung begehen - dass alles unter den Augen palästinensischer Sicherheitskräfte! Dies wird auch von Menschenrechtsorganisationen angeprangert.

Das Verhältnis zwischen Muslimen und Christen verschlechterte sich nach dem israelischen Abzug aus Bethlehem radikal. Als im Gegenzug Sicherheitskräfte der Palästinensischen Autonomiebehörde (ausnahmslos Muslime) in die Stadt einzogen, entluden sich Vorurteile und Frust der muslimischen Bevölkerung in Gewaltausbrüchen gegen Christen. Israel erhielt seither zunehmend Beschwerden seitens der christlichen Gemeinschaft, die sich über Beschädigungen an Kirchen und christlichen Symbolen beschwerte, aber auch über die Tatenlosigkeit palästinensischer Sicherheitsleute. Gleichzeitig kam es auch zu körperlichen Belästigungen und Angriffen. Die aktuelle Intifada konnte diesen innerpalästinensischen Konflikt wieder in den Hintergrund rücken, und die Probleme unter den Deckmantel des gemeinsamen Kampfes gegen die Besatzung kehren. Spätestens aber in einem unabhängigen palästinensischen Staat, dürften die Probleme wieder mit voller Wucht in Erscheinung treten.

©  Zvezdan Kuhar / nahostfocus.de (4.01. 2002)
Quelle : Haaretz Daily / The Guardian (London) / IMRA
 

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